Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
Fenster winkte, um sie in den Garten zu locken, entschied sich Josie, zunächst der Büchersammlung des Professors einen Besuch abzustatten.
Trotz des freundlichen Tags wirkte die Bibliothek düster. Außer der Glastür zur Terrasse gab es hier kein Fenster. Ein weinroter Samtvorhang erlaubte den Sonnenstrahlen nicht, mehr als einen rötlichen Schleier über den Raum zu hauchen. Josie dachte, dass die lichtempfindlichen alten Bücher in der Dunkelheit sicher am besten aufgehoben waren. Es roch nach einer Mischung aus Staub und dem Bohnerwachs, der dem schönen alten Eichenboden seinen matten Glanz verlieh. Das monotone Brummen eines Luftbefeuchters, den Josie gestern gar nicht wahrgenommen hatte, war das einzige Geräusch, das die erhabene Ruhe störte. Außer dem Luftbefeuchter und dem Computer, der auf dem alten Schreibtisch rechts neben der Terrassentür stand, deutete hier nichts auf das einundzwanzigste Jahrhundert hin. Die mit Schnitzwerk verzierten Regalwände aus massivem Nussbaum gaben dem Raum etwas Ehrfurchtgebietendes. Säulen, um die sich kunstvoll gearbeitete Rosenranken nach oben wanden, unterteilten die einzelnen Regalabschnitte. Koboldfratzen grinsten von den Kapitellen zu ihr herab. In der Mitte der schönen alten Kassettendecke wieder das Wappen. Ein Schwert, über dem eine vergoldete Harfe schwebte. Und auch hier fand sich die Inschrift wieder: Verbum mihi gladius!
»Mein Schwert ist das Wort«, murmelte Josie.
War in die nördliche Bücherwand der offene Kamin eingearbeitet, vor dem Josie gestern erwacht war, hatte der Erbauer des Hauses genau gegenüber, unterhalb der Decke, über einer breiten, mit Rosenranken verzierten Halbsäule, eine Uhr einbauen lassen. Das Zifferblatt war mit verschnörkelten Zeigern und einer Anzeige für die Mondphasen versehen. Schade, das alte Ding war stehen geblieben. Alte, uralte ledergebundene Bücher, zum Teil mit lateinischen Aufschriften, füllten die Bretter, dazwischen Mappen, aus denen zerfledderte Schriftstücke hervorblitzten. Eine Bastion von Generation zu Generation überlieferten Wissens, in einer Medienwelt, in der das Verfallsdatum einer Nachricht oft schon nach wenigen Stunden ablief. Ihr Blick wanderte über die Buchrücken. Auch heute fiel ihr auf, dass trotz der immer noch überwältigenden Zahl der Bände schon bedenkliche Lücken in den Reihen klafften. Sie suchte nach dem Lichtschalter, um die Titel besser entziffern zu können, und fand ihn neben der Tür.
Aufmerksam schritt sie von einem Regal zum anderen. Dann stutzte sie. Aus einem in einstmals dunkelrotes Leder gebundenen Band rieselte etwas wie Asche. Sie zog das Buch vorsichtig heraus und ließ es vor Schreck beinahe fallen, als die Buchdeckel unerwartet aneinanderklatschten. Eine Staubwolke stob hoch. Erschrocken blickte Josie auf ein Häufchen Dreck, das wohl die Buchseiten gewesen sein mussten. Sie erinnerte sich daran, dass der Professor ihnen davon erzählt hatte. Aber wie war es möglich, dass Bücher von heute auf morgen einfach zerfielen?
Kopfschüttelnd legte sie den leeren Einband auf den Couchtisch und widmete sich wieder den Regalen. Ob sie in einem dieser Bücher etwas über Narranda finden würde? Aufmerksam studierte sie die Titel. Aber die Suche erwies sich als schwierig, sie wusste einfach nicht, wo sie anfangen sollte. Nach welchem System waren die Bände geordnet? Wahrscheinlich musste sie doch den Professor um Rat fragen.
Als sie schon aufgeben wollte, lächelte sie, schüchtern an einen dicken Wälzer gelehnt, ein kleines, in grünes Leinen gebundenes Büchlein an. Der Einband war schon etwas abgegriffen und trug hübsch verschnörkelt die Aufschrift: Zwerge, Gnome, Hausgeister. Nach kurzem Durchblättern beschloss sie, es mitzunehmen. Vielleicht fand sie darin wenigstens etwas über Rosalinde.
Als sie eine Minute später wieder auf der Treppe stand, war sie sich plötzlich unsicher, ob sie das Licht in der Bibliothek ausgeschaltet hatte. Sie legte das Bändchen auf den Treppenabsatz und ging noch einmal zurück. Während sie schon die Tür öffnen wollte, hörte sie etwas.
Ob das der Hausgeist war, von dem Rosalinde eine Andeutung gemacht hatte? Behutsam, um ihn nicht zu verschrecken, drückte sie die Klinke und spähte in den Raum. Doch dann blieb ihr fast das Herz stehen. Mit dem Rücken zu ihr stand ein Jugendlicher und machte sich an einem dicken Band zu schaffen. Augenblicklich wirbelte ein Gedanke durch ihren Kopf. Hatte der Eindringling etwas mit der
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