Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
aschgrauen Nebelschleiern verödete Felder und trostlos verdorrte Wälder.
Druid Dubh streckte in einer müden Bewegung den Arm aus. »Seht ihr des Nordgebirges Rand? Er trennt das helle Gold’ne Land von des Bösen schwarzem Hort, von Dorchadon, dem dunklen Ort. Dazwischen liegt Riamh Mhuir, das endlos tiefe Niemalsmeer, es schützt uns vor der Schwarzen Gier. Doch ist es eine schlechte Wehr. Denn Dearmadon, die graue Insel, treibt schweigend über seine Wogen …«
Josie, die versuchte, Druid Dubhs Ausführungen zu folgen, unterbrach ihn. »Eine Insel? Dearmadon ist eine Insel?«
Der Vogelmann nickte ernst. »Wir leben nur in den Geschichten von menschlich Wunderdingberichten. Die Welt der Dinge ist der Ort, in dem durch Fantasie und Wort erschaffen wird, was hier zu seh’n. Doch sind die Märchen, Mythen, Sagen scheint’s nicht mehr wert zum Weitertragen. Vergessen müssen sie vergeh’n auf der Insel Dearmadon, wo sie als düst’rer Nebeldunst unser Gold’nes Reich bedroh’n. Denn ohne Rast und ohne Ruh bläst Orcarracht, der böse Drache, die Schwaden auf Narranda zu.«
Josie blickte zum Horizont. Obwohl sie nicht alles verstanden hatte, hatte sie zumindest verstanden, woher die Nebel kamen. Und wenn sie sich weiter ausdehnten, würden sie bald ganz Narranda einhüllen! Eine tiefe Traurigkeit überwältigte sie und drückte ihr die Brust ab.
»Dem einäugigen Satansdrachen geht nur das Eine durch den Sinn«, fuhr Druid Dubh fort und seine Pupillen verengten sich, »in tiefe Finsternis zu stürzen das Gold’ne Reich der Königin. Der Schwarzen Augen leiden nicht das helle, klare, gold’ne Licht.«
Josie malte sich eben die schrecklichen Folgen aus, als der Vogelmann weitersprach: »Was dann geschieht, woll’n wir nicht denken – denn alle mutlosen Gedanken dem übel nur mehr Leben schenken.« Damit wendete er den Blick zur Sonnenseite der Stadt. »Nun kommt, der Große Trusadh hat begonnen, es ist schon zu viel Zeit verronnen.«
»Wusstest du das alles?«, fragte Josie betroffen, während sie vor Wolf den Turm hinabstieg.
Das große Tier mühte sich mit den Stufen. War es aufwärts schon eine Qual für seine langen Beine gewesen, ging es abwärts nicht besser. Wolf blieb schwer atmend stehen. Seine klugen Augen suchten Josies Blick, die, schon ein Stück weiter, auf ihn wartete. »Durchaus, die Lage war mir bekannt. Jedoch …«
Trompetenstöße, die wie glühende Pfeile durch die kleinen Turmfenster schossen, unterbrachen ihren Gedankenaustausch. Josie spähte hinaus. Auf den Hügeln herrschte plötzlich emsiges Gewimmel. Von allen Seiten rannten Zwerge zu den Windmühlen. Dann setzten sich die ersten Windmaschinen auch schon in Bewegung. Auf dem ihnen zunächst gelegenen Hügel konnte Josie nun auch erkennen wie: Laufräder, in denen zahllose Zwerge wie Hamster strampelten, trieben die Flügel an.
Josie ahnte nun, was das Ganze zu bedeuten hatte. Über dem Nordgebirge stieg eine nachtschwarze Wolkenwand hoch, die wie ein graues, alles verschlingendes Ungeheuer vorwärtskroch, um sich mit den Nebeln, die das öde Tal bedeckten, zu zähen Schwaden zu verbinden, die rasend Richtung Süden trieben. Die Sicht wurde schlechter und schlechter und wieder verblassten die Farben der Stadt im Dämmergrau. Erst jetzt liefen die Windmaschinen mit voller Kraft. Was Josie anfangs nur als Luftzug wahrgenommen hatte, wuchs sich zu einem Sturm aus. Von allen Hügeln brauste und sauste es. Dann zerriss der graue Schleier und wich Stück für Stück zurück. Josie hielt sich mit der einen Hand die Haare aus dem Gesicht, raffte mit der anderen den Rock und setzte mit klopfendem Herzen ihren Weg nach unten fort.
Druid Dubh bestätigte Josies Beobachtung, als er sie am Ausgang des Turms empfing. »Noch treiben unsre Windmaschinen die schwarzen Nebel von der Stadt, doch steht zu fürchten, dass dies Mittel bald jeden Sinn verloren hat. Es werden mehr und mehr der Dämpfe, die übers Nordgebirge weh’n. – Orcarracht faucht aus vollen Kräften, weil wir Lughnasadh heut begeh’n.«
Sie folgten Druid Dubh zum Schloss zurück. Offenbar hatte er Sorge, sie könnten sich verspäten, denn er flog so rasch vor ihnen her, dass sie kaum nachkamen.
In Josies Kopf wirbelten die Gedanken wie die Flügel der Windräder. Was konnte man nur tun?
Und wieder meldete sich Wolfs Stimme in ihrem Bewusstsein. »Nur die Menschen können die alten Geschichten und Mythen retten. Es sind die Nebel des Vergessens, die das
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