Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
blindes Wort und Denken. Und des Vergessens graue Nebel verdunkeln das einst Gold’ne Reich.‹«
Damit verschloss er Josie wieder den Zutritt zu seinen Gedanken und ließ sie mit den ihren allein.
Druid Dubh führte sie vom Treiben des Marktes weg.
Nach und nach veränderte sich das Stadtbild. Die Häuser wurden größer und prächtiger, die Gärten weiträumiger und von Blüten schier berstend. Purpurrosen, wo man hinsah. Honigduft lag in der Luft. Hier lebten wohl die besseren Sidhe, denn die wenigen Passanten, die über das reinliche Pflaster gingen, waren hochgewachsene, schlanke Gestalten mit ebenmäßigen Gesichtern und jadegrünen Augen. Kleinwüchsige sah man kaum. – Vor ihnen her ging – nein, schwebte – eine Feenfrau mit goldglänzenden Haaren, neben ihr ein Zwerg, anscheinend ihr Diener, gebückt unter den Einkäufen, die er für sie schleppte.
Wolf verschlang sie mit den Augen. Seine Stimme drang zu Josie durch, traurig und sehnsuchtsvoll. »Was für ein wunderschöner Gang, ihr gold’nes Haar bringt mich zum Weinen.«
Josie legte tröstend ihre Hand auf seinen struppigen Kopf. Wie sehr er noch immer litt! Der Weg führte sie durch einen Park. Blumenrabatten, in kunstvoll verschlungenen Mustern angelegt. Skurrile Figuren aus geschnittenem Buchsbaum. Auf der Wiese stolzierten Pfaue. Bunte Paradiesvögel zwitscherten aus dem üppigen Blattwerk der vor Gesundheit strotzenden Bäume. Die Natur schien hier ein Freudenfest zu feiern. Ein Zwerg mit Mütze und Gärtnerschürze harkte ein Beet. Josie betrachtete ihn im Vorübergehen. Unwillkürlich fielen ihr die deutschen Gartenzwerge ein, die Moma so abscheulich kitschig fand. In den Gesang der Vögel mischte sie Glöckchenklang. Ein Schwarm winziger blau geflügelter Elfen huschte an ihnen vorüber.
Josie sah ihnen noch nach, bis sie im dichten Geflecht einer beeindruckenden Rosenhecke verschwanden. Mindestens drei Meter hoch bildete das dornige Gestrüpp die Grenze des Parks. Josie stieg süßer Rosenduft in die Nase, der umso betörender wurde, je näher sie kamen. Druid Dubh flog ihnen durch einen Rosenbogen voraus. Als sie wenig später an der Seite Wolfs das blühende Portal durchschritt, blieb Josie schier die Luft weg.
Vor ihnen lag ein Schloss. Ein schneeweißer Palast, mit Erkern, Altanen, Türmen und Türmchen, auf denen purpurfarbene Fahnen wehten.
Es war das Schloss aus ihren Träumen. Das Schloss, von dem auch Amy geträumt hatte.
Eine Freitreppe, die rechts von einem silbernen und links von einem goldenen Drachen flankiert wurde, führte zum Hauptportal, vor dem unbewegt, als hätte man ihnen Beton eingeflößt, zwei riesenhafte Kerle in purpurroten Uniformen finsteren Blicks Wache hielten.
Das Schloss schien ihrer Seele so vertraut wie Momas altes Haus. Sie steuerte schlafwandlerisch auf den Eingang zu, als Druid Dubh sie zurückrief. »Bevor Ihr den Palast betretet, sei Euch ein Ausblick noch gewährt, der uns’re allergrößte Sorge und misslich’ Lage Euch erklärt.«
Wie in Trance folgte sie Druid Dubh. Sie durchquerten den rosenbewehrten Palastbezirk, an den sich eine Siedlung kleiner Gesindehäuser anschloss, die ganz offensichtlich für Zwerge gebaut waren. Die angrenzenden Remisen und Ställe machten Josie neugierig. Welche Tiere sich die Sidhe wohl hielten? Sie gelangten zu einer weiten Koppel, auf der zwei blütenweiße Pferde weideten. Aufgescheucht galoppierten sie davon, als sie näher kamen. Josie bewunderte ihre kraftvollen Bewegungen, als eines der Tiere stehen blieb und sich zu ihnen umblickte. Ihr Herz begann zu rasen.
»Einhörner«, stieß sie aus. »Sieh nur, wie wunderschön sie sind!«
»Oh ja«, gab Wolf zurück. »Sie sind so bezaubernd wie scheu.« Doch gleich wurde sein Ton wieder schwermütig. »Nárbflaith vermisste sie so sehr.«
Ein ohrenbetäubendes Bellen riss Josies Blick von den Einhörnern weg nach hinten. Kreidebleich presste sie sich an Wolf, als nun das seltsamste Tier, das sie je gesehen hatte, wild kläffend und belfernd auf sie zuzockelte. Es war etwa von der Größe einer Riesenschildkröte und besaß den Kopf einer Schlange. Sein gefleckter Körper erinnerte an den eines Leoparden, während Hinterteil und Schwanz mehr dem eines Löwen ähnelten. Die behuften Beine sahen aus, als hätte es sie von einem Hirsch geborgt. Scheu näherte es sich, wie ein ängstlicher Hund, der aber dennoch erschnüffeln wollte, wer sich da durch sein Revier bewegte. Das nervenzerreibende Bellen,
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