Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
der Dinge auf.«
Waren die Straßen das erste Stück noch unbelebt, tauchten plötzlich erste Wesen auf, die unterschiedlicher gar nicht hätten sein können. Feine junge Mädchen und Jünglinge in prächtigen Gewändern, daneben gnomenhafte Männlein und Weiblein in bizarrer Kleidung, viele mit riesigen Hüten und unförmigen Hauben. Etwas Grünes huschte an ihnen vorüber. Josie wirbelte herum. War das ein Moosboggel gewesen? Fragile Elfchen, von fingernagel- bis daumengroß sirrten einzeln und in Scharen durch die Gassen. Während Josie versuchte, all die märchenhaften Eindrücke für immer in sich aufzunehmen, wurde sie von den Bewohnern Narrandas nicht weniger bestaunt. Wo sie und ihr zottliger Begleiter auch hinkamen, wurden sie angegafft. Und es entging Josie nicht, dass man hinter ihnen hertuschelte. Der Cluricaun hatte recht gehabt, ihr Kommen war wohl tatsächlich in aller Munde.
Allmählich schienen sie sich dem Zentrum zu nähern. Immer mehr Volk drängelte sich auf den Straßen. Dann öffnete sich vor ihnen ein Platz. »Oh!« Josie blieb entzückt stehen. Offenbar feierte man anlässlich Lughnasadhs ein Volksfest! Jeder schien sein Festgewand zu tragen. Zwergenhafte Händler priesen ihre Waren. Töpfe und Geschirr, glänzende Stoffe und Kopfbedeckungen in den sonderbarsten Formen. Ein kleiner Mann mit struppigem roten Vollbart und grünem Zylinder, der Josie sehr an den Cluricaun erinnerte, bot Schuhe feil. Josie musterte ihn verstohlen.
»Er ist ein Leprechaun«, teilte ihr Wolf mit, der ihre Frage aufgefangen hatte. »Sie sehen Cluricauns sehr ähnlich, doch sind sie weniger der Flasche zugetan. Einem ihrer Zunft verdanke ich – wie schon gesagt – mein Vermögen.«
Mitten im Getümmel führten Gaukler ihre Kunststücke vor. Ein kleinwüchsiger Jongleur, mit einer Nase, deren Länge seine Größe um einiges überragte, warf etwas wie schillernde Seifenblasen in die Luft und brachte sie dann unter skurrilen Verrenkungen mit seinem langen Zinken zum Platzen, worauf winzig kleine Elfen wie Sonnenstaub davonstoben. Das Publikum applaudierte begeistert. Josie hätte ihm gern noch länger zugesehen, doch Druid Dubh winkte ungeduldig.
Sie wollte sich gerade losreißen, als, gleich einer monströsen Fledermaus, ein Schatten den Platz verdüsterte. Trompetenfanfaren zerfetzten die fröhlichen Klänge. Augenblicklich erstarb der ausgelassene Trubel. Dann schwappte Dunkelheit über die Stadt, wie ein Eimer schwarzen Wassers. Jammern und Klagen setzten rundherum ein.
»Zum Teufel, was ist das?«, rief Josie in die Finsternis.
»Die Nebel des Vergessens wallen! Die schwarzen Nebel Dearmadons!«, hörte sie jemanden rufen. »Wir werden bald zum Opfer fallen den bösen Horden Dykerons.«
Josie drängte sich näher an Wolf. Es tat gut, seinen warmen starken Körper neben sich zu spüren. Dearmadon. Verdammt! Wer oder was war Dearmadon? Ob Wolf es wusste? Aber während sie noch versuchte, seine Gedanken zu lesen, kam Sturm auf. Ihre Haare peitschten um ihr Gesicht. Doch mit dem Wind verzog sich der schwarze Nebel wie eine drohende Gewitterwolke an einem Sommertag. Aufatmen rauschte durch die Menge. Nur wenig später setzten die Jahrmarktsbesucher das bunte Spektakel fort, als wäre nichts gewesen. Wie es schien, war man an solch beängstigende Vorfälle gewöhnt.
Josie sah sich unruhig nach dem Vogelmann um. Hoffentlich hatten sie ihn nicht verloren! Endlich entdeckte sie ihn.
»Dort. Wir müssen dort hinüber.« Erleichtert lief sie los, während ihr Wolf ruhig und gemessen folgte. »Was um Himmels willen bedeutet das alles?«, rief sie Druid Dubh atemlos entgegen.
Das Gesicht ihres Führers wirkte grau. »Ihr fragt Euch, was es auf sich hat, dass Dunkelheit und tiefe Nacht den Tag uns so verleiden? – So kommt denn mit, ich will’s Euch zeigen!«
Damit flog er hoch. Josie folgte ihm, Wolf dicht an ihrer Seite. »Weißt du etwas über diese schrecklichen Nebel?«, fragte sie ihn in Gedanken.
»Caliesins Weissagung hat sich erfüllt«, erwiderte Wolfs dunkle Stimme in ihrem Kopf.
»Das Buch der Prophezeiungen«, murmelte Josie vor sich hin. »Der Professor hat Moma und mir eine Passage daraus vorgelesen. Aber ich könnte sie nicht mehr genau wiedergeben.«
Wolf schwieg – jedenfalls hatte Josie für einen Moment keinen Zugang zu ihm. Nach kurzer Pause meldete er sich zurück: »Die Prophezeiung heißt: ›Und es wird kommen eine Zeit, in der, was einst der hohen Barden Gut, verlischt durch
Weitere Kostenlose Bücher