Das Vermächtnis der Feen (German Edition)
gemein hatte, drängte sich ihr dieser Vergleich auf. Alle Völker der Sidhe schienen vertreten zu sein. Auf schmalen Simsen, die sich oberhalb der Sitzreihen an der Wand entlangzogen, wimmelte es von winzigen Elfen. Josie versuchte, Elvinia zu finden, doch es gelang ihr nicht.
Die vorderen Ränge schienen den Kleinwüchsigen vorbehalten zu sein. Kindlich aussehende Gnome, Männlein und Weiblein mit sittichblauen Haaren und winzigen rosa Händen. Zwerge mit grünen Mützen und ebensolchen Nasen, deren herzförmige Ohren von ihren kugelrunden Köpfen abstanden wie die Henkel einer Suppenterrine. Ebenfalls in der ersten Reihe – jeweils drei auf einem Sitz – ungestalte, unentwegt mit den Köpfen wackelnde, spindeldürre Kobolde, mit unglaublich langen Zeigefingern. Die meisten Wesen sahen Menschen im Großen und Ganzen ähnlich, aber etwas weiter oben saßen auch solche mit Schweinerüsseln, feisten rosa Wangen und Borstenohren und so beleibt, dass sie kaum auf die Sitze passten. Unmittelbar daneben weiße, hasenartige Kreaturen von der Größe eines Sechsjährigen, mit seidigen Fellohren, menschlichen Gesichtern und vierfingrigen Händen.
Am äußersten rechten Rand der zweiten Reihe entdeckte sie alte Bekannte, mit viel zu langen Armen und nur mit grünem Moos bekleidet. Sie zog die Augenbrauen hoch. Moosboggels! Hatten sie den Schluckauf also überstanden! Etwas weiter hinten saßen alte kleine Männer mit Wuschelbärten und grünen Zylindern. Waren das jetzt Cluricauns oder Leprechauns? Und war MoDain unter ihnen?
Eine kleine fleischige Hand, die ihr zuwinkte, lenkte sie von ihrer Suche ab. Rosalinde? Ja, es war Rosalinde! Wie gut es sich anfühlte, dass sie auch hier war! Neben der Bean Tighe saßen ihre Kolleginnen, alle mit frischen Häubchen und Schürzen. Josie glaubte sogar, ihren Lavendelduft bis hier unten wahrnehmen zu können. Je weiter ihr Blick nach oben wanderte, umso größer wurden die Sidhe, wenn auch nicht unbedingt ansehnlicher. Da gab es einäugige, aber auch vieräugige Wesen, glatzköpfige und welche mit so üppigem Haarwerk, dass man ihre Gesichter kaum erkennen konnte. Zottlige Trolle, nur mit ihrem braunen Fell bekleidet, hockten neben einer Reihe kurios hässlicher Schnabelwesen. Diese wiederum saßen neben wunderschönen Elfenfrauen und -männern, die um vieles größer waren als Elvinias Schar, sodass sie ihre schimmernden Flügel auf den engen Plätzen kaum unterbrachten. Eine Gruppe silberblonder Elbenmädchen fiel Josie auf, da sie sich fragte, ob sie unter ihren durchscheinenden Kleidern überhaupt Körper besaßen. Rechts der Sitzreihenpyramide tummelten sich in einem geräumigen Wasserbecken, das von lebendigen Wasserspeiern gespeist wurde, die aus nichts als spitz gehörnten Fratzen zu bestehen schienen, große und kleine Nixen. Wie Silberfischchen wuselten sie mit ihren Flossenschwänzen hin und her. Ein vollkommen grüner dickbäuchiger Wassermann, dem Tang in dicken Büscheln aus den Ohren wuchs, glotzte träge über den Rand.
Der linke Flügel war mit purpurrotem Samt gepolstert und schien ganz besonderen Sidhe vorbehalten zu sein. Die schönen Feenfrauen mit den rotgoldenen Haaren und ihre männlichen Begleiter, die ihnen an Grazie und Wohlgestalt in nichts nachstanden, mussten zum Geschlecht der königlichen Sidhe, der Sidhoir, gehören.
Ein Fanfarenstoß riss alle Blicke zu einem Seitenportal, das Josie erst jetzt wahrnahm. Sie trat mechanisch einen Schritt vor, um besser sehen zu können. Ein Zwerg in altertümlicher Uniform erschien und klopfte mit einem Stab, der neben ihm wie ein Fahnenmast wirkte, dreimal auf den Marmorboden. Die merkwürdige Versammlung sprang von den Plätzen hoch.
Dann trat, begleitet von der purpurfarbenen Hymne Narrandas, eine Lichtgestalt ein, die Josie alles andere um sich vergessen ließ. Órlaith, die Königin der Sidhe. An ihrer Seite schritt ein großer alter Mann, dessen langer silberweißer Bart bis zum Gürtel seines weißen Gewands fiel. Josie riss die Augen auf. Auf seiner Schulter saß eine Amsel. War das etwa Druid Dubh? Sie hatte überhaupt nicht darauf geachtet, wo er geblieben war. Gefolgt wurde die Königin von ihrer Leibgarde, Hofdamen und etlichen Elfen, deren Aufgabe es war, ihre lange Schleppe aus Purpurseide vom Boden fernzuhalten.
Órlaith war so berauschend schön, dass Josie gar nicht wegsehen konnte. Trotz ihres hüftlangen schneeweißen Haars war ihr Gesicht von altersloser Jugend. Auf ihrem Kopf saß,
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