Das Vermächtnis der Feuerelfen
ruhig und friedlich, aber es war gerade dieses trügerische Gefühl von Sicherheit, das ihn misstrauisch machte. Verstohlen tastete er nach seinem Kurzschwert. Die vollkommene Stille, das atemlose Innehalten der Natur, das einem Angriff der gefürchteten Anderweltwesen vorauseilte, waren ihm wohlvertraut, und er machte sich bereit.
»Nachtmahre!« Saphrax, der die zweite Wache in Gestalt eines großen, zottigen Hundes übernommen hatte, tauchte wie aus dem Nichts neben ihm auf. Die Ohren aufgestellt, hielt er den Blick auf etwas am nahen Waldrand gerichtet, das Durin nicht sehen konnte.
»Warum hast du mich nicht geweckt?«, zischte Durin ihm mit einem raschen Seitenblick auf Caiwen zu, die, an einen Baumstamm gebunden, neben ihm lag und schlief.
»Hab ich doch.« Saphrax ließ den Waldrand nicht aus den Augen. »Du hast geschlafen wie ein Stein. Dreimal musste ich …«
»Das kann jeder sagen«, knurrte Durin unwirsch und wechselte das Thema, indem er fragte: »Wie viele sind es?«
»Ich habe zwei gesehen, aber es sind mindestens doppelt so viele.« Saphrax entblößte die langen Eckzähne und räumte ein: »Es könnten aber auch noch mehr sein.«
»Du bist mir wie immer eine große Hilfe.« Durin grinste schief.
»Keine Ursache.« Saphrax gab ein drohendes Knurren von sich,
als im Wald das leise Knacken von trockenen Ästen zu hören war, und hob witternd die Nase. »Es geht los.«
»Pass auf das Mädchen auf.« Durin sprang auf. Mit grimmiger Miene, das Schwert in der einen und seinen Dolch in der anderen Hand, starrte er in die Schatten, bereit, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
»Du solltest sie losbinden«, meinte Saphrax. »So ist sie eine leichte Beute.«
»Damit sie davonläuft?« Durin schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage. Entweder wir stehen das hier durch oder wir sterben gemeinsam.«
Ein leises Scharren in unmittelbarer Nähe ließ Durin herumwirbeln. Er stieß einen Schrei aus und riss noch in derselben Bewegung das Schwert in die Höhe. Aber der erwartete Angriff blieb aus.
»Durin!« Der Tonfall, in dem Saphrax seinen Namen sagte, verhieß nichts Gutes. Durin drehte sich um, folgte dem Blick des Wechselwesens und entdeckte eine Phalanx aus Schatten, die sich wie eine geschlossene Mauer langsam auf sie zuschob. Gebogene Reißzähne und Klauen blitzten in der Schwärze auf, und mehr als ein halbes Dutzend gelber Augenpaare ließ vermuten, dass Saphrax die Anzahl der Gegner um einiges zu günstig eingeschätzt hatte.
»Zwei, wie?« Durin funkelte das Wechselwesen wütend an. Seine Finger umfassten die Waffen jetzt so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Er hatte schon oft allein gegen Nachtmahre gekämpft, aber noch niemals gegen so viele. Eine leise Stimme flüsterte ihm zu, dass dies sein letzter Kampf sein würde, aber er spürte keine Angst, nur das vertraute Ziehen in der Magengegend, mit dem sein Körper gegen die ungeheure Anspannung protestierte.
Ein Schrei gellte durch die Finsternis, als etwas Riesenhaftes aus den Schatten stürmte. Durin reagierte, ohne nachzudenken. In einer reflexartigen Bewegung riss er den Arm in die Höhe und
schleuderte der Kreatur seinen Dolch entgegen. Der Schrei brach ab, als der Nachtmahr zusammenbrach und, nur fünf Schritte von Durin entfernt, reglos liegen blieb.
»Bravo! Wenn du die restlichen Dolche auch so perfekt einsetzt, sind wir gerettet«, rief Saphrax ihm zu.
»Die restlichen? Das war mein einziger.«
»Eben!«
Durin wollte noch etwas sagen, aber der Tod des Nachtmahrs hatte den Bann gebrochen, der die anderen noch zurückhielt. Über der Lichtung erhob sich vielstimmig das gefürchtete Heulen und Kreischen der Anderweltwesen. Wie ein Lied des Todes hallte es zwischen den Bäumen wider.
Durin hörte Caiwen hinter sich aufschreien, aber ihm blieb keine Zeit, sich um sie zu kümmern, denn im gleichen Augenblick begann der Angriff. Ein Nachtmahr stieß hart gegen Durins Schulter und warf ihn zu Boden. Der Aufprall raubte ihm für einen Moment den Atem und die Sicht. Gerade noch rechtzeitig sah er aus den Augenwinkeln eine Reihe messerscharfer Zähne, die sich seiner Kehle näherten. Instinktiv riss er den Arm hoch, packte den Unterkiefer des Nachtmahrs mit der einen Hand und versuchte, ihn von sich fernzuhalten, während er sich gleichzeitig aufbäumte und dem Anderweltwesen das Kurzschwert mit aller Kraft in die ungeschützte Flanke rammte. Das Untier heulte auf und warf sich zur Seite. Die Kiefer schnappten ins
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