Das Vermächtnis der Feuerelfen
Schiffbrüchigen auf dem Riff zu spüren. Nun wusste sie es besser.
»Dieser elende Feigling.« Durin gab einen verächtlichen Laut von sich. »Haut einfach ab und lässt mich im Stich.«
»Er hat mich beschützt.« Caiwen wunderte sich über die Heftigkeit ihrer Worte. Warum ergriff sie Partei für ein Wesen, dem sie ihre Entführung zu verdanken hatte? Welcher Dämon ritt sie, dass sie diesen Verräter in Schutz nahm? Bisher war sie überzeugt gewesen, Saphrax mindestens ebenso zu verachten wie Durin, dem sie auf dem Riff ihr Vertrauen geschenkt hatte. Er hatte ihr vorgetäuscht, ihr Freund zu sein, und sie darin bestärkt, ihre Heimat zu verlassen. Dabei hatte er die ganze Zeit nur das Gold im Sinn gehabt, das Melrems Großmutter ihm versprochen hatte.
Nachdem er sie betäubt und verschleppt hatte, machte er keinen Hehl mehr daraus, um was es ihm wirklich ging. Ihr Schicksal kümmerte ihn nicht. Sie war für ihn nicht mehr als eine Ware, die er abzuliefern hatte und nur deshalb pfleglich behandelte, damit sie ihm einen möglichst hohen Preis einbrachte.
Die Wahrheit zu erfahren, hatte mehr geschmerzt als die Fesseln an ihren Handgelenken, aber immerhin war Durin nun ehrlich zu ihr. Ebenso wie Saphrax, der sich nicht länger an die Gestalt des Baumhörnchens gebunden fühlte. Nachdem sie aus der Ohnmacht erwacht war, hatte sie einsehen müssen, dass Finearfin recht gehabt hatte. Mit eigenen Augen hatte sie gesehen, wie Saphrax sein Äußeres mehrfach änderte. Morgens war er als Vogel in die Lüfte gestiegen, um den kürzesten Weg nach Arvid ausfindig zu machen. Danach hatte er sie und Durin in Gestalt eines stämmigen Pferdes durch den Wald getragen, um am Ende des Tages als Hund den zweiten Teil der Nachtwache zu übernehmen.
Die Wandlungsfähigkeit des Wesens war unglaublich. Aber
mehr noch als das hatte Caiwen der Umstand verblüfft, dass Saphrax sprechen konnte.
Dass sie sich so schnell daran gewöhnt hatte, war nicht zuletzt Saphrax selbst zu verdanken. Immer wenn Durin es nicht bemerkte, hatte das Wechselwesen das Gespräch mit ihr gesucht. Es war sehr neugierig und aufgeschlossen und wollte alles über das Leben auf dem Riff wissen. Caiwen hatte zunächst gezögert, über ihr Volk zu sprechen. Aber dann hatte sie erfahren, dass Saphrax als Möwe auf dem Riff gewesen war und die Wahrheit kannte, und ihm bereitwillig Auskunft gegeben. Im Gegenzug hatte auch sie Fragen gestellt und Antworten erhalten. Dabei hatte Saphrax ihr so manches verraten, das sie ohne ihn sicher nicht erfahren hätte. Sie wusste nun, dass er es gewesen war, der sich in ein Seeungeheuer verwandelt hatte, um Heylon zu retten. Und er hatte zugegeben, dass er Heylon mochte.
Caiwen hatte eine Chance zur Flucht gewittert und versucht herauszufinden, auf welcher Seite Saphrax stand, aber sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. So wie er ihr gegenüber ganz offen über seine Sympathie für Heylon plauderte, ließ er zugleich keinen Zweifel daran, dass er sich Durin mit Leib und Seele verpflichtet fühlte. Caiwen spürte in ihm das tief verwurzelte Bedürfnis, einem Herrn zu dienen, eine Eigenschaft, die vermutlich alle Wechselwesen kennzeichnete. Einerseits verachtete Caiwen ihn, andererseits faszinierte er sie auch. Saphrax war impulsiv und schien zu handeln, ohne auch nur einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden, aber er war nicht feige.
»Wie auch immer, er wird schon wieder auftauchen.« Durin klang nicht wirklich überzeugt.
Caiwen wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, und schwieg. Dabei fiel ihr auf, wie still es geworden war. Der Kampflärm war verklungen. Nur vereinzelt waren noch das Stöhnen der Verwundeten und das nervöse Schnauben der Pferde zu hören. Sie blickte auf, konnte aber nicht erkennen, was am Waldrand
vor sich ging. Das erste Grau des Morgens hatte dichten Nebel über der Lichtung aufsteigen lassen, der alles verhüllte, was weiter als zehn Schritte entfernt war. »Was geschieht jetzt?«, fragte sie, froh, dass Durin noch in der Nähe war.
Froh? Caiwen schalt sich eine Närrin, aber das Gefühl hielt sich hartnäckig. Es war verrückt. Sie hatte allen Grund, den Kopfgeldjäger zu hassen, und doch war sie in diesem Augenblick erleichtert, dass er bei ihr war. In diesem Land, das sich ihr so fremd und feindselig präsentierte, das ihr mehr und mehr Angst machte und ihre Zuversicht schwinden ließ, war er das einzig Vertraute.
Kein Freund, aber immerhin ein Begleiter, der sie, wenn auch nicht ganz
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