Das Vermächtnis der Feuerelfen
auch der Kelch zerbrochen ist?
Caiwen gestattete es sich nicht, darüber nachzudenken. Mit bloßen Händen schaufelte sie messerscharfe Scherben und faustgroße Gesteinsbrocken zur Seite. Ihre Hände bluteten und schmerzten, aber sie gab nicht auf. Mit einer aus Verzweiflung geborenen Entschlossenheit grub sie weiter, bis sie inmitten der Trümmer etwas funkeln sah.
Der Kelch!
Caiwen keuchte vor Anstrengung. Ihr Herz hämmerte wie wild, und Schweiß rann ihr über die Stirn, als sie den Blutkelch hervorzog. Er war völlig unversehrt. Caiwen hielt ihn ins Licht der Flammen, um ihn genauer zu betrachten. Immer noch konnte sie nicht die kleinste Spur von Blut erkennen.
Es ist der falsche Kelch! Nimeye hat mich wieder getäuscht. Der Gedanke schoss ihr wie ein eisiger Blitz durch den Körper. Vergebens, es war alles vergebens ...
Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, als sie sah, wie sich ein Blutstropfen von ihrem Zeigefinger löste und in den Kelch tropfte. Kaum dass er das Glas berührte, wurde er aufgesogen und färbte das Glas ein wenig roter.
Caiwen verstand und zögerte nicht länger. »Und so löse ich den Pakt, den Nimeye einst geschlossen hat, und entbinde jene, die ihr verpflichtet sind, von allen Schuldigkeiten«, murmelte sie leise die Worte, die ihre Mutter ihr mit auf den Weg gegeben hatte, und ließ einen weiteren Tropfen in den Kelch fallen.
»Neiiiin!« Nimeyes Aufschrei gellte durch die Höhle. Ohne dass Caiwen es bemerkt hatte, war sie aufgestanden und bewegte sich mit schleppenden Schritten auf sie zu. »Gib mir den Kelch!«, keifte sie wie von Sinnen. »Gib ihn mir! GIB - IHN - MIR!«
Caiwen überlegte nicht lange: »Du willst ihn?«, rief sie herausfordernd, hob den Blutkelch in die Höhe und schleuderte ihn
mit den Worten »Dann hol ihn dir« mitten in die Flammensäule.
Nimeye wirbelte herum und setzte dem Kelch mit einem Sprung nach, der nur aus Magie geboren sein konnte.
Wieder schien die Zeit für einige Herzschläge auszusetzen. Caiwen sah, wie sich Nimeye durch die Luft bewegte, den Arm ausstreckte und den Kelch fing, ehe er die Flammen erreichte. Triumphierend riss sie ihn an sich, aber sie war zu schnell. Der ungeheure Schwung trug sie weiter - mitten in die Flammensäule hinein. Ein markerschütternder Schrei gellte durch die Höhle, als die Flammen gierig nach ihrem Gewand und den Haaren griffen. Für einen Augenblick sah Caiwen sie noch, in Flammen gehüllt, im Feuer stehen. Dann fand der Schrei ein jähes Ende und Nimeye war verschwunden.
Caiwen starrte auf die Flammensäule. Sie empfand keine Trauer, aber auch keine Freude. Nimeyes Tod war nichts anderes als das Ergebnis ihre Bosheit. Alles, was Caiwen fühlte, war eine grenzenlose Erschöpfung, den Schmerz der blutenden Schnittwunden und den drängenden Wunsch, diesen schrecklichen Ort endlich zu verlassen. Ohne zu zögern, wandte sie sich um und begann zu laufen.
Glühende Gesteinsmassen folgten ihr durch die Tunnel und Höhlen, als sie aus dem Herz des Vulkans floh.
Es war heiß. Unerträglich heiß. Die dünnen Gewänder klebten ihr schwer auf der Haut und immer wieder nahmen ihr Schweißtropfen die Sicht. Sie hatte keine Kraft mehr, den magischen Schild gegen die Hitze aufrechtzuerhalten, und musste sich ungeschützt einen Weg durch die Tunnel bahnen.
Das Licht war schlecht und der Boden von tiefen Spalten durchzogen, die Caiwen oft erst im letzten Augenblick bemerkte und nur mit einem beherzten Sprung überwinden konnte, während sie tief unter sich die glühende Flut aufsteigen sah.
Ich muss hier raus! Der Gedanke hämmerte unablässig hinter ihrer Stirn. Instinktiv wählte sie immer die Abzweigungen, die nach oben führten, in der Hoffnung, dass die Tunnel nicht verschüttet waren. Sie wusste, dass sie sich längst hoffnungslos verlaufen hatte, aber sie gab nicht auf.
Weiter, immer weiter, spornte sie sich selbst in Gedanken an. Stehen zu bleiben, würde unweigerlich den Tod bedeuten. Nur wenn sie sich stetig nach oben bewegte, hatte sie noch eine Chance zu entkommen.
Die Suche nach der Wächterstatue hatte sie aufgegeben, ehe sie damit begonnen hatte, verbot sich aber jedes Schuldgefühl. Dieser Konflikt war nicht der ihre, und wenn sie auch kraft ihres Blutes hineingezogen worden war, so konnte niemand von ihr erwarten, dass sie Wunder vollbrachte. Sie hatte es versucht und war zu einem Teil sogar erfolgreich gewesen. Sie hatte alles gegeben und würde vielleicht sogar ihr Leben bei diesem
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