Das Vermächtnis der Feuerelfen
war. Sie ließ den Blick durch die Höhle schweifen, in der das Wasser nun fast seinen höchsten Stand erreicht hatte, und versuchte, mit den Augen dem Pfad zu folgen, der sich schon bald hinter einer Biegung verlor. »Wohin führt dieser Pfad?«, wollte sie wissen.
Armide zögerte unmerklich. Dann sagte sie: »Zu den Booten.«
»Hier liegen Boote?« Caiwen riss erstaunt die Augen auf.
»Ja.« Armide nickte. »Drei. Weißt du, manchmal meint Mar-Undrum es gut mit uns und schickt uns eines der Beiboote von den gesunkenen Schiffen. Diese Boote sind für uns sehr wertvoll.
Sie haben uns schon so manches Mal gute Dienste geleistet.« Sie schaute Caiwen ernst an. »Nur eine Handvoll Männer und ich wissen davon, also behalte es bitte für dich.«
»Warum haltet ihr es geheim?«, fragte Caiwen.
Armide sah Caiwen vielsagend an. »Nicht jeder auf dem Riff ist glücklich mit dem Leben, das er führen muss. Da kann man leicht auf dumme Gedanken kommen. Natürlich sind die Boote zu klein und das Festland ist viel zu weit weg, aber wer verzweifelt genug ist, mag darin dennoch einen Ausweg sehen.«
»Das wäre sein Todesurteil.« Caiwen konnte sich nicht vorstellen, dass jemand so etwas Verrücktes tun würde. »Er würde auf dem Ozean umkommen.«
»Wahrscheinlich.« Armide nickte. »Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, die uns alle in Gefahr bringen würde.«
»Was meinst du?«
»Nun, der Flüchtling könnte von Tamoyern aufgegriffen werden. Und er könnte ihnen verraten, wohin unsere Vorfahren damals geflohen sind. Dann würden Schiffe mit Gardisten hier aufkreuzen und das Schicksal der Menschen auf dem Riff wäre besiegelt.«
»Oh.« Caiwen schluckte. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Es erschien ihr zwar sehr unwahrscheinlich, dass ein kleines Boot auf dem weiten Ozean einem Schiff der Tamoyer begegnen könnte, aber es war auch nicht ausgeschlossen. »Mach dir keine Sorgen«, wandte sie sich schließlich wieder an Armide. »Von mir erfährt niemand etwas.«
Als Durin das Haus der Halbelfe verließ, war der zottige Hund von seinem Platz neben der Tür verschwunden.
Saphrax! Ein eisiger Schrecken durchfuhr ihn, während er im Geiste noch einmal Maeve vor sich sah, die eine Fliege mit den Fingern zerquetschte.
Er ist tot!
Der Gedanke lähmte Durin. Unfähig, einen weiteren Schritt zu tun, blieb er vor der Tür stehen und starrte auf die Stelle, an der das Wechselwesen in der Sonne gelegen hatte.
Es war unfassbar. Er, der stets jede Bindung gemieden hatte und seit mehr als zwanzig Wintern das Leben eines Einzelgängers führte, hegte ausgerechnet für einen Feind eine solche Zuneigung, dass er dessen Tod als Verlust empfand. Saphrax! Durin spürte, wie seine Kehle beim Gedanken an das Wechselwesen eng wurde. Er hatte es nicht wahrhaben wollen und es seinem kleinen Gefährten nie gesagt, aber hier und jetzt, da Saphrax ihn für immer verlassen hatte, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass die durchlebten Abenteuer und Gefahren sie zueinandergeführt hatten - dass sie Freunde geworden waren.
»Was ist los?« Melrem, der ihn auf der Reise begleiten sollte und sein Gepäck aus dem Haus geholt hatte, trat neben Durin ins Freie und blickte ihn aufmerksam an. »Suchst du deinen Hund?«
»Ja.« Durins Stimme kratzte wie ein Reibeisen und er räusperte sich. »Es ist nicht seine Art, einfach wegzulaufen.«
»Ich spüre Trauer in dir.« Melrem ließ ihn nicht aus den Augen.
»Unsinn.« Durin fühlte sich ertappt und bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Ich lasse ihn nur ungern hier zurück, wenn wir in See stechen.« Er spitzte die Lippen, stieß einen Pfiff aus und rief barsch: »Saphrax!«
Nichts geschah.
»Vielleicht ist er einer streunenden Hundedame begegnet und gerade verhindert.« Melrem grinste, wurde dann aber wieder ernst: »Auf jeden Fall können wir hier nicht auf ihn warten«, sagte er bestimmt. »Die Flut erreicht gegen Mittag den höchsten Stand. Das ablaufende Wasser wird die Abreise begünstigen. Ich will nicht unhöflich sein, aber wir müssen uns beeilen.«
»Ich weiß.« Durin seufzte, schulterte sein Bündel und setzte
sich langsam in Bewegung. Warum hatte das Wechselwesen nicht auf ihn gehört? Warum hatte es ihm ausgerechnet in Gestalt einer Fliege folgen müssen und warum …? Durin führte den Gedanken nicht zu Ende. Grübeleien brachten Saphrax nicht zurück. Saphrax war tot. Er musste sich damit abfinden. Je schneller, desto besser. Kummer machte schwach
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