Das Vermächtnis der Feuerelfen
und Schwäche konnte er sich nicht erlauben.
Das Schiff, zu dem Melrem ihn führte, war ein stolzer Viermaster, der den Namen Annaha trug. Eine breite Planke mit hölzernem Geländer führte von der Kaimauer zur Reling hinauf. Offenbar war das Schiff doch noch nicht ganz fertig beladen, denn Durin sah eine Menge Seeleute, die unermüdlich Kisten, Säcke und Fässer an Bord schleppten.
»Und, schon mal auf einem Schiff gewesen?« Melrem war stehen geblieben und gab Durin damit Zeit, die Annaha in ihrer ganzen Schönheit zu bewundern.
»Noch nie.« Durin legte den Kopf in den Nacken und beobachtete, wie sich die Seeleute in schwindelnder Höhe an den Rahsegeln zu schaffen machten. Spinnengleich und scheinbar mühelos erklommen sie die Wanten und balancierten ohne jede Absicherung an der Rah entlang.
»Ein prachtvolles Schiff, nicht wahr?« Der Stolz in Melrems Stimme war nicht zu überhören. »Es ist das letzte, das Großmutter bauen ließ. Deshalb trägt es auch den Namen meiner Mutter.«
»Hauptsache, es sinkt nicht.«
»Keine Sorge. Die Annaha hat mehr Stürmen getrotzt als so manch anderes Schiff hier im Hafen.« Melrem lachte. »Großmutter würde es nicht ertragen, sie auch noch zu verlieren. Sie lässt die Annaha nur von erfahrenen Kapitänen befehligen.«
»Klingt beruhigend.« Durin schnitt eine Grimasse und machte einen Schritt auf das Schiff zu. »Wollen wir?«
Der Kapitän der Annaha war ein hochgewachsener, stämmiger Seemann mit sorgfältig gestutztem weißem Bart und wettergegerbtem Gesicht. Die schwarze Uniformjacke mit blank polierten Goldknöpfen und die glänzenden schwarzen Stiefel verliehen ihm eine Aura von Unnahbarkeit. Die kleinen, eng zusammenstehenden Augen und die zu einem schmalen Strich zusammengepressten Lippen zeugten von Durchsetzungsvermögen und Strenge.
Jemand musste ihm berichtet haben, dass Melrem und Durin angekommen waren, denn er erwartete die beiden schon an der Reling, als sie das Schiff betraten. Nach einer militärisch knappen Begrüßung ohne Herzlichkeit wies er einen Schiffsjungen an, Melrem und Durin in ihre Kajüten zu begleiten, während er schon im nächsten Atemzug die Anweisung zum Segelsetzen gab.
Durin entschied, dass er den Mann nicht mochte. Ehe er dem Schiffsjungen unter Deck folgte, nahm er sich die Zeit, das Geschehen an Bord noch eine Weile zu beobachten. Die Planke wurde auf das Schiff gezogen, während man an Land die Taue löste, die das Schiff an der Kaimauer hielten. Ein Knarren, das einem erleichterten Seufzen ähnelte, durchlief das Schiff, als es, von den Fesseln befreit, im Wasser lag. Unter der Mannschaft brach Unruhe aus, die im ersten Augenblick hektisch wirkte, bei näherem Hinsehen aber einem genau festgelegten Plan folgte. Jeder schien genau zu wissen, was er zu tun hatte, und Durin kam es bald so vor, als ob es die lautstark gebrüllten Befehle des Ersten Offiziers gar nicht brauchte, der in schmucker Uniform neben dem Kapitän auf der Brücke stand und dessen Anweisungen an die Seeleute weitergab.
Nur wenige Augenblicke nachdem die Planke auf das Schiff gezogen worden war, gaben die Männer hoch oben in den Wanten die Rahsegel frei, um den ablandigen Wind zum Auslaufen zu nutzen. Entgegen Durins Befürchtungen schwankte das Schiff
nicht, als es langsam in die Fahrrinne glitt und auf die Mole zuhielt, die den Hafen wie eine Zange aus Felsgestein vor der zerstörerischen Brandung des Ozeans schützte.
»Mein Herr?« Der Schiffsjunge berührte Durin schüchtern am Arm. Vermutlich wartete auf ihn eine Reihe von Pflichten, denen er aber erst nachgehen konnte, wenn er Durin seine Kajüte gezeigt hatte.
»Ich komme.« Durin riss sich vom beeindruckenden Anblick der weißen Segel los, die im Sonnenlicht wie frisch gefallener Schnee erstrahlten, und folgte dem Jungen eine steile Treppe hinunter in den Rumpf des Schiffes.
Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten. Es war eng und die Decke so niedrig, dass er aufpassen musste, sich nirgendwo den Kopf zu stoßen. Der Junge führte ihn einen schmalen, mit rötlichem Holz getäfelten Gang entlang, von dem rechts und links Türen abzweigten. Es roch nach geöltem Holz, Tabakqualm und allerlei anderen Dingen, die Durin nicht einordnen konnte. Er war noch nie ein Freund von Hütten und Häusern gewesen. Auch wenn er deren Schutz und Wärme zu schätzen wusste, vermittelten die Wände und Dächer ihm immer ein Gefühl des Eingesperrtseins, dem er
Weitere Kostenlose Bücher