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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tracy Schoch
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weiterer Monat, der zwölfte des Jahres, verging. Und obwohl sich rein objektiv betrachtet nichts veränderte, hätte für mich ebenso gut ein anderes Leben beginnen können. Es fing damit an, dass ich zu Logis’ Schatten wurde. Ich folgte ihm auf Schritt und Tritt, zu jedem Ratstreffen, auf jedem Gang durch die Stadt. Zuerst kam ich mir sehr überflüssig vor. Niemand sprach mit mir. Die einzige Art der Aufmerksamkeit, die man mir entgegenbrachte, war ab und zu ein Blick milder Verwunderung. Aber dann erinnerte ich mich an etwas, das Logis zu mir gesagt hatte und das ich zuerst als höfliche Bemerkung abgetan hatte. Ich war ein guter Fechter, man hatte mich seit meiner Kindheit im Schwertkampf unterrichtet. Das konnten die wenigsten der Soldaten von sich behaupten. Noch immer wussten die wenigsten, wie man mit einer Waffe richtig umging. Warum sollten diese Menschen nicht von meinem Wissen profitieren? So begann ich, die Freiwilligen zu unterrichten. Zuerst tat ich es nur, um mir die Zeit zu vertreiben. Doch nach und nach wurde ich zu einem von ihnen. Sie duldeten mich nicht nur, weil ich der Sohn des Königs war und sie mir daher zu Gehorsam und Respekt verpflichtet waren. Ich glaube, letztendlich lernte ich mehr von diesen Menschen als sie von mir. Die anonyme Masse der Freiwilligen bekam in meiner Vorstellung Namen und Gesichter. Mehr noch, ich erkannte, dass sie mir folgen würden. Nicht, weil ich mich Heerführer nannte, sondern weil sie mir vertrauten.
    Und dann war da meine wachsende Freundschaft zu Dalinius. Natürlich kannte ich den obersten Ratgeber meines Vaters schon lange. Aber er war früher für mich nie mehr gewesen als ein Mitglied des Rates, ein weiteres Gesicht in der Menge. Jetzt erfuhr ich, dass er nicht einmal zehn Jahre älter war als ich. Er war ein Verwandter von Logis und ich hatte ihn stets für sehr förmlich und zurückhaltend gehalten, ganz das Bild mustergültiger Höflichkeit und dazu mindestens ebenso weltfremd und verstaubt wie die anderen Ratgeber. Allerdings schien ihm Logis die größte Achtung entgegenzubringen. Mich erstaunte die Geduld, mit der er mir die Entschlüsse des Rates so oft erklärte, bis ich sie tatsächlich begriffen hatte, ebenso wie die Zusammenhänge, die zu diesen Entscheidungen geführt hatten.
    Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich jeden freien Augenblick mit Elaine verbrachte. Ich liebte sie und war glücklich über jeden Moment, in dem wir zusammen sein konnten. Doch ebenso sehr schätzte ich die Zeit, die ich in der Gesellschaft der Menschen von Arida verbrachte, und meine neu gewonnenen Einblicke in die Geschehnisse. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben wirklich das Gefühl, meinen Platz gefunden zu haben und wenn schon nicht meinen Platz, so zumindest den richtigen Weg.
    So verging die Zeit, während unsere Erwartung und unsere Spannung wieder stiegen. Wir hatten den Wendepunkt erreicht. Zwar dauerten der Winter und damit der Waffenstillstand an, doch wir waren nicht länger passiv. Im nächsten Monat würde der Kriegsrat zusammentreffen. Und dann würden wir über die Zukunft unseres Volkes und unserer Welt entscheiden.
     

Terdécia
     
     
    „Parieren, nicht ausweichen!“
    Noch während Julius diese Worte aussprach, strauchelte Dalinius auf dem eisglatten Boden. Bevor er sein Gleichgewicht wiederfinden konnte, griff der junge Prinz ihn erneut an. Einen kurzen Augenblick später wurde ihm das hölzerne Übungsschwert aus der Hand geprellt und er plumpste in den Schnee.
    Lachend zog ihn Julius wieder auf die Füße: „Nicht schlecht, aber bei deinem nächsten Versuch solltest du nicht über deine eigenen Beine stolpern.“
    Dalinius nickte und sammelte sein Holzschwert auf, bevor er seinen Platz in der Anfängergruppe, die Julius gerade unterrichtete, wieder einnahm. Sie standen dicht zusammengedrängt in einer Ecke des überfüllten Palasthofes. Es war einer der wenigen sonnigen Wintertage in Anoria, und obwohl es frostig kalt war, nutzten viele die Gelegenheit, ihre Behausungen zu verlassen. Allerdings hatte die Begeisterung von Julius’ Schülern etwas nachgelassen, nachdem er sie alle der Reihe nach besiegt hatte. Den meisten war es dabei nicht besser ergangen als Dalinius.
    Noch immer lachend sah Julius sich um. Nicht weit entfernt stand eine Gruppe von Gardisten, die sich an einer Feuerstelle die Hände wärmten, während ihre Kameraden ihre Waffen schärften oder sich im Schwertkampf übten. Zwischen den geordneten Reihen der

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