Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Soldaten rannten ein paar Jugendliche umher und veranstalteten eine wilde Schneeballschlacht. Auf einem flachen Mauerstück hinter Julius saßen Arthenius und Larenia und unterhielten sich in ihrer eigenen Sprache, von der er noch immer nicht allzu viel verstand. Es überraschte ihn, die beiden hier zu sehen, aber er hatte schon vor einiger Zeit aufgehört, sich über das Verhalten der Gildemitglieder zu wundern. Jetzt jedoch hörte er seinen eigenen Namen aus ihrem Gespräch heraus. Neugierig geworden drehte er sich zu ihnen um und rückte ein Stück näher: „Worüber sprecht ihr?“
Entgegen seiner Erwartung sah Larenia lächelnd zu ihm auf: „Arthenius meinte, du wärest ein guter Fechter.“
Bereits ihr Tonfall verriet Julius, dass sie diese Meinung nicht unbedingt teilte. Ihre Skepsis ärgerte ihn und so fragte er ungehalten: „Und was denkst du?“
Sie zuckte mit den Schultern: „Du bist nicht schlecht, aber gegen einen geübten Gegner hättest du keine Chance.“
„Was mache ich falsch?“, beinahe gegen seinen Willen interessiert trat er einen weiteren Schritt näher.
„Deine Technik und deine Reaktionen sind gut, aber du denkst nicht voraus und du schätzt deine Gegner nicht richtig ein. Wenn du gegen einen Anfänger wie Dalinius kämpfst, ist es egal, doch in einem echten Kampf würdest du verlieren.“
„Das verstehe ich nicht.“
„So?“, sie wechselte einen kurzen Blick mit Arthenius, dann stand sie auf- „Ich werde es dir zeigen.“
Einer der Gardisten schien ihre letzten Worte gehört zu haben. Er stupste seinen Nachbarn an und gemeinsam gesellten sie sich zu Julius’ Schülern. Einer von ihnen bot Larenia seine Übungswaffe an, aber die Gildeherrin lehnte mit einem Kopfschütteln ab. Stattdessen zog sie ihr eigenes Schwert. Die Klinge war kürzer und schmaler, darum aber nicht weniger tödlich. Und plötzlich erinnerte sich Julius, mit welcher Geschwindigkeit sie diese Waffe gezogen hatte, als sie ihn vor den Vogelfreien in den Wäldern gerettet hatte. Gleichzeitig konnte er ein Gefühl der Überlegenheit nicht ganz unterdrücken, denn letztendlich war sie trotz all ihrer Macht und Magie nur ein kleines, zierliches Mädchen und er hatte sie sehr oft sagen hören, sie sei keine Kämpferin. Unschlüssig und hin und her gerissen zwischen Ehrfurcht und Siegessicherheit stand er mit halb erhobener Waffe da, während die Zahl seiner Zuschauer beständig wuchs. Schließlich begegnete er Larenias spöttischem Blick. Da riss er entschlossen sein Schwert hoch und holte zu einem vernichtenden Hieb aus. Bevor er die Bewegung auch nur halb zu Ende geführt hatte, trat Larenia beinahe gemächlich einen Schritt zur Seite und wich ihm so aus. Aber die Wucht seines eigenen Angriffs ließ ihn an ihr vorbeistolpern. Nur mit Mühe gelang es Julius, den Schwung seiner Vorwärtsbewegung abzufangen und sich vor einem Sturz mit dem Gesicht voran in den Schnee zu retten. Um ihn herum erklang schadenfrohes Gelächter. Mit hochrotem Kopf drehte sich Julius zu Larenia um.
„Siehst du?“, mit einem entwaffnenden Lächeln sah sie ihn an, „du denkst nicht bei dem, was du tust. Sonst hättest du daran gedacht, dass ich schneller bin als du. Und du hättest mich niemals frontal angegriffen, ohne an deine Deckung zu denken.“
Seufzend musste Julius zugeben, dass sie recht hatte. Jemanden, der einen Pfeil im Flug auffangen konnte, würde er so nicht schlagen können.
Er probierte es wieder und wieder mit gleichbleibenden Ergebnissen. Als er bei seinem fünften Versuch tatsächlich in einem aufgestapelten Schneeberg landete, blieb er japsend sitzen.
„Wie soll ich denn jemals gewinnen? Ich bin vorsichtig, ich achte auf meine Deckung und trotzdem sitze ich hier keuchend im Schnee. Und dir ist noch nicht einmal warm geworden.“
„Du kannst nicht gewinnen. Hierbei geht es nicht um Sieg oder Niederlage“, ihr Tonfall klang scherzhaft, aber Julius erkannte, dass sie es sehr ernst meinte, „sondern darum, am Leben zu bleiben. Daher rate ich dir: Lauf, so schnell du kannst. Diese Lektion vergisst du nur allzu leicht. Heldenmut ist eine großartige Sache, aber wem hilft schon ein toter Held?“
In der nun folgenden betretenen Stille erklang Arthenius’ Stimme: „Angeber“, spöttelte er, „wie wäre es mit einem richtigen Gegner?“
„Du?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte Larenia sich zu ihm um.
„Warum nicht?“, er trat aus der Zuschauermenge zu Julius, der noch immer mit offenem Mund
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