Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Ansammlung von Mordinstrumenten an den Wänden betrachtete. Schließlich wandte sie ihre Aufmerksamkeit Philipe zu, der, den Kopf in die Hände gestützt, auf einer der Bänke saß. Und dann sah sie den Raum durch seine Augen. Sie sah, wie die Wirklichkeit von Vergangenheit und Zukunft überlagert wurde. Sie sah den Raum …
… leer, überfüllt, voll kämpfender Menschen, verwüstet. Sie sah Julien am Kartentisch stehen und voll Verzweiflung das Ende seines Königreiches erklären. Dann blickte sie in schnellem Wechsel auf seine Vorfahren, …
(Sie hatte diese Männer gekannt, sie war da gewesen vor unzähligen Jahren.)
… die ruhig, wütend, triumphierend dastanden. Hinter ihnen bewegten sich die Schatten anderer, längst toter Menschen …
Philipe hob den Kopf und wandte sich zu ihr um. Und sie blickte in ihr eigenes Gesicht …
… über den Abgrund vieler Jahre hinweg. Sie sah ihr früheres Ich, das sich rasend schnell veränderte, bis da nichts mehr war außer Verzweiflung …
Erschrocken unterbrach Larenia die Verbindung. Sie wollte das nicht wissen. Auch Philipe stützte den Kopf wieder in die Hände. Er schloss die Augen, als versuche er, so die auf ihn einstürmenden Möglichkeiten der Zukunft auszuschließen. Aber selbst jetzt fühlte Larenia, dass es ihm nicht gelang. Er sah jeden von ihnen in allen Zeitebenen, bis er kaum noch die Gegenwart erkennen konnte.
Dann spürte sie wieder Arthenius’ warme Hand auf ihrer Schulter, beruhigend und wirklich. Sie riss sich von Philipes beängstigenden Gedanken los und ging durch die Bankreihen zum gegenüberliegenden Ende des Raumes. François folgte ihnen mit gerunzelter Stirn.
„Also“, begann er nach einem Augenblick des Schweigens, „was soll ich Julien sagen, wenn er fragt, wie es weitergehen soll?“
Diese Worte galten Larenia, doch sie reagierte nicht. Schließlich sagte Philipus, ohne seine Haltung auch nur im Geringsten zu verändern: „Solange wir nicht wissen, was die Kandari tun werden, können wir nichts mit Sicherheit sagen.“
François knirschte hörbar mit den Zähnen. Mit erzwungener Ruhe wandte er sich an Larenia: „Nun?“
„Woher soll sie wissen, was die Bewahrer in ihrem Größenwahn vorhaben?“, automatisch trat Arthenius vor Larenia und sah François gereizt an, „und sie ist nicht für die Handlungen der Kandari verantwortlich.“
Diesmal verlor der Sprecher der Gilde seine Beherrschung: „Verdammt, Arthenius, hör endlich auf damit! Du benimmst dich inzwischen genauso närrisch wie Julius. Jedes Mal, wenn ich dieses Thema anspreche, hast du nichts Besseres zu tun, als zornig zu werden“, er unterbrach sich und trat einen Schritt zurück. Endlich sprach er deutlich leiser weiter: „Glaubst du, mir macht das Spaß?“
„Was macht eigentlich Pierre?“, unbemerkt war Felicius näher gekommen und blickte jetzt fragend in die Runde. François starrte ihn zornig an.
„Lenk jetzt nicht ab“, fauchte er mit zusammengebissenen Zähnen, „stets wartest du darauf, deinem Bruder ein Stichwort für einen Themenwechsel geben zu können.“
„Pierre wird uns helfen, aber das spielt keine Rolle“, ohne auf François, der inzwischen am Rande eines Wutanfalls stand, zu achten, verließ Philipus seinen Platz an der Wand, „wir können Anoria nicht mit einem Haufen Bauern und Handwerker retten.“
„Und was schlägst du vor?“, François benötigte seine gesamte Selbstbeherrschung, um nicht loszuschreien, „Sie“, er deutete auf Larenia, „schweigt, die Bewahrer klammern sich an die Reste ihrer Macht und Laurent zögert wie gewöhnlich. Die Zahl unserer Möglichkeiten ist begrenzt.“
Herausfordernd starrte er die anderen der Reihe nach an. Er hätte noch sehr viel mehr zu sagen gehabt. Vielleicht hätte er es sogar getan, doch in diesem Augenblick trat Larenia zwischen sie. Ruhig und distanziert sah sie zu François auf: „Du willst wissen, wie es weitergehen soll? Die Wahrheit ist, dass ich noch keinen Weg gefunden habe, der die Kandari zum Handeln bewegen könnte“, sie seufzte, „Laurent nimmt die Gefahr nicht ernst und die Bewahrer, welche die Brochonier einschätzen können, wollen ihre Stellung nicht gefährden.“
„Dann musst du Laurent überzeugen“, gegen seinen Willen besänftigt erwiderte François ihren Blick, „du bist wahrscheinlich die Einzige, auf die er hören würde.“
„Nach Hamada zurückkehren …“, sie drehte sich zu Arthenius um und er erkannte ihre innere Zerrissenheit,
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