Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
dahockte, und nahm ihm das Schwert aus der Hand, „allerdings benötigst du dafür etwas mehr Glück.“
In einer absolut synchronen Bewegung hoben sie ihre Waffen zu dem unter Schwertkämpfern üblichen Gruß.
„Keine Magie, keine Telepathie.“
Larenia nickte: „Einverstanden.“
Dem nun folgenden Schauspiel folgte Julius mit weit aufgerissenen Augen. Eine nahezu unheimliche Stille hatte sich über den gesamten Schlosshof gelegt. Das Einzige, was zu hören war, war das Funken sprühende Aufeinanderprallen ihrer Schwerter. Julius wusste, dass sie es nicht ernst meinten und dass keiner den anderen wirklich verletzen wollte. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass er keinen von ihnen zum Gegner haben wollte. Nie zuvor hatte er derart schnelle und präzise Bewegungen gesehen. Jetzt erst verstand er, was Larenia gemeint hatte. In einem solchen Kampf blieb keine Zeit mehr zum Reagieren. Man musste die Bewegungen seines Kontrahenten vorhersehen.
Keiner der Zusehenden konnte im Nachhinein sagen, wie es geschehen war. Irgendwie gelang es Arthenius, ihren rechten Arm festzuhalten und ihr Handgelenk so zu verdrehen, dass Larenia ihre Waffe fallen ließ.
„Du kennst mich zu gut“, atemlos sah sie zu Arthenius auf, der ihren Blick lächelnd erwiderte. Das Blitzen in ihren Augen verriet ihm, dass sie nicht ganz so wehrlos war, wie es den Anschein hatte. „Aber wer sagt dir, dass du gewonnen hast?“
Erst jetzt sahen die Umstehenden, dass sie in der linken Hand einen langen, gefährlich aussehenden Dolch hielt. Keiner hatte bemerkt, wie sie das Messer gezogen hatte. Aber Arthenius wich nicht zurück. Im Gegenteil, er trat noch näher an sie heran, so nahe, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm aufsehen zu können.
„Aber du willst mich nicht verletzen“, seine Worte klangen spöttisch, doch sein Gesichtsausdruck war warm, liebevoll und voller Vertrauen.
„Nein …“, ihr Blick veränderte sich, wurde auf schwer zu beschreibende Weise intensiver. Ihre Umgebung hatte sie völlig vergessen.
„Seid ihr wahnsinnig geworden? Wollt ihr euch umbringen?“, vom gegenüberliegenden Ende des Hofes kam François auf sie zugeeilt. Zornig und vorwurfsvoll starrte er Larenia und Arthenius an.
In aller Ruhe schob Larenia ihren Dolch zurück in ihren linken Stiefel, bevor sie François verständnislos ansah: „Das war doch nur Spaß.“
„Spaß!“, wiederholte er fassungslos. „Ich glaube, über eure Auffassung von Spaß sollten wir uns noch einmal unterhalten“, dann wechselte er in die Sprache der Kandari, „Philipe und Felicius sind zurück.“
Seufzend befreite Larenia ihr Handgelenk aus Arthenius’ Griff und strich ihr weißes Haar aus ihrem Gesicht. Von einem Augenblick zum nächsten war sie wieder kühl, zurückhaltend, distanziert. Nie zuvor hatte Julius diesen Rollenwechsel so bewusst wahrgenommen. Mit einer schnellen Bewegung hob sie ihr Schwert auf und verschwand dicht gefolgt von Arthenius in der Menge.
Im Keller des Schlosses befand sich ein Raum, den niemand während Juliens Regierungszeit betreten hatte außer zum Staubwischen und der allein in Kriegszeiten genutzt wurde. Taktiksaal hatten ihn die Erbauer des Palastes genannt, doch Julien war bisher davor zurückgeschreckt, seinen Kriegsrat hier abzuhalten.
Es war ein steinerner, viereckiger, riesiger Raum, der von zahlreichen Fackeln erhellt wurde. An einem Ende der Halle stand ein gewaltiger Tisch, auf dem unter einer Glasplatte eine alte Landkarte Metargias lag. Viele Holzbänke füllten die freien Flächen und boten Hunderten Platz. An den Wänden lehnten Waffen, Schwerter, Bögen, Speere und Streitäxte, die seit mehr als fünfzig Jahren niemand mehr benutzt hatte, Relikte aus der kriegerischen Vergangenheit Anorias.
François gelang es unter Einsatz seines ganzen Körpergewichts, die schwere, in den Angeln quietschende Eichentür zu diesem Raum aufzustemmen. Nur die Gildemitglieder waren anwesend und nicht der rötliche rußende Fackelschein, sondern das blauweiße Leuchten einer Energiekugel erhellte den Saal. Arthenius registrierte all das, als er Larenia, die zögernd auf der Schwelle stehen geblieben war, vor sich in die Halle schob. Ihr Blick wanderte unstet durch den Raum, blieb kurz an Philipus hängen, der im Schatten an der Wand lehnte. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und drückte mit seiner ganzen Haltung Zweifel und Verschlossenheit aus. Larenia sah von ihm zu Felicius, der mit entsetzter Neugier die
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