Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
wieder auf der anderen Seite des Tisches.
„Es geht nicht um mein Schicksal, Pierre. Wirst du tun, worum ich dich gebeten habe?“
„Die brochonischen Rebellen anführen?“, unschlüssig sah er von Larenia zu Rowena und wieder zurück, „ich weiß nicht. Ich kann dir nichts versprechen.“
„Wirst du es versuchen?“
Warum zögerte er? Er hatte sich gewünscht, wieder in das Geschehen eingreifen und in seine Heimat zurückkehren zu können. Und es war auch sein Wunsch gewesen, Rowena und ihrem Volk zu helfen. Aber er hatte schon einmal eine derartige Entscheidung getroffen. Es würde kein Zurück geben, das wusste er. Nur dieses Mal, erkannte er, als er in das Gesicht des brochonischen Mädchens blickte, hatte er etwas zu verlieren. Er hatte Felicius wegen seines Idealismus verspottet und voll Unverständnis versucht, Larenias selbstquälerische Gedanken nachzuvollziehen. Aber jetzt begriff er. Er hatte geglaubt, dass es keine Wahl gäbe, dass er nur das Offensichtliche zu tun hatte. Doch jetzt fühlte er die Last der Entscheidung. Die Entscheidung zwischen dem, was richtig war, und dem Einfachen, die Welt zu vergessen und nur in seiner eigenen Realität und im Zauber des Augenblicks zu leben.
Pierre sah zu Larenia, die ihn beobachtete. Sie hatte jeden seiner Gedanken deutlich wahrgenommen. Jetzt lächelte sie warm und wissend.
„Wie kannst du nur damit leben? Mit dem Wissen, dass es einen anderen Weg gegeben hätte, dass du glücklich sein könntest“, fragend und innerlich zerrissen sah er sie an. Seufzend erwiderte Larenia seinen Blick: „Vielleicht wäre ich glücklich, aber ich könnte es nicht vergessen. Für mich gibt es keinen anderen Weg mehr seit dem Tag, an dem ich Anaiedoro betrat.“
Plötzlich zuckte sie zusammen und drehte sich um. Pierre bemerkte den konzentrierten Ausdruck in ihrem Gesicht und er sah, wie viel Kraft es sie kostete, die Verbindung aufrechtzuerhalten.
„Ich habe keine Zeit mehr. Ich muss wissen, wie du dich entscheidest, Pierre“, ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.
„Ich werde es versuchen“, er fühlte ihre Zweifel und fügte hinzu, „vertraue mir, Larenia. Auch ich halte meine Versprechen.“
Sie antwortete nicht mehr. Ihre Erscheinung schien sich aufzulösen und war dann übergangslos verschwunden.
Schwer atmend ließ sich Pierre auf den Stuhl fallen, auf dem Larenia zuvor gesessen hatte. Er fühlte sich überrannt und wusste nicht, was er von seinem Gespräch mit der Gildeherrin halten sollte. Auf die ihr eigene Weise hatte sie ihr Ziel erreicht. Pierre würde sein Wort halten und der kühl und rational arbeitende Teil seines Verstandes überdachte bereits seine Möglichkeiten. Doch ein anderer Teil seines Ichs bedauerte den Verlust dessen, was er hier, fern seiner Heimat, gefunden hatte. Er hätte nicht gedacht, dass ihm dieses Leben gefallen könnte. Es passte nicht zu seinem Selbstverständnis. Ungehalten schüttelte er diesen Gedanken ab.
Inzwischen war die Nacht vergangen und das eisgraue Morgenlicht schien durch das Fenster.
„Pierre?“, verschlafen und mit zerzausten Locken sah sich Rowena um, „ist etwas geschehen?“
Erschrocken sah er auf. Dann bemerkte er Rowenas schlaftrunkenen Blick und zwang sich zur Ruhe. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er den Griff seines Dolches noch immer umklammerte. Mit einer weiteren Willensanstrengung lockerte er seinen Griff und legte die Waffe schließlich auf den Tisch.
„Nein …“, einen Moment lang erwog er, ihr von seiner Begegnung mit Larenia zu erzählen, aber er verwarf diese Idee sofort wieder, „es ist alles gut.“
Mit ungewohnt schweren Schritten ging er zu Rowena und setzte sich neben sie. Geistesabwesend zog er sie in seine Arme und legte das Kinn auf ihren Scheitel.
„Rowena?“, fragte er leise und mit breiterem Akzent als gewöhnlich, „denkst du noch immer, dass die Widerstandskämpfer in den Krieg ziehen sollten? Es ist nicht euer Kampf.“
„So war es vielleicht am Anfang“, lächelnd sah sie zu ihm auf, „aber inzwischen ist es der einzige Weg, den ich für uns sehe. Wir können euch helfen und ihr helft uns.“
Der Blick, mit dem er das Mädchen in seinen Armen betrachtete, war sehr sonderbar. Wärme und Zuneigung widerspiegelten sich darin ebenso wie grimmige Entschlossenheit und noch etwas anderes, das Rowena nicht zu deuten vermochte. Sie würde diesen Augenblick nie vergessen.
Dann sprang Pierre mit verblüffender Plötzlichkeit auf.
„Wir müssen die
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