Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Augenbrauen an, „aber was hat das mit Anila zu tun? Bisher schien sie nur ihrem eigenen Willen zu folgen.“
„So war es auch“, bestätigte Merla, „früher.“
Sie schlang ihre Finger ineinander und blickte auf ihre Hände herab. Eine Weile suchte sie nach Worten, bevor sie schließlich weitersprach: „Du kennst Anila. Sie war immer ehrgeizig. Sie strebte danach, Larenia zu übertreffen und im Mittelpunkt zu stehen, und mehr als alles andere wollte sie Macht. Daher befolgte sie die Befehle der Bewahrer, die es niemals nötig hatten, sie in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Aber als wir aus Anoria zurückkehrten, wollte sie den Menschen helfen. Es gelang ihr, Laurents Interesse zu wecken, und er war sogar bereit, das Heer auszuschicken. Alles lief nach Plan. Und dann verschwand Anila.“
Merla verstummte und starrte gebannt auf das Holzmuster der Tischplatte.
„Sie verschwand?“, wiederholte Arthenius. „Was geschah dann?“
Mit einem tiefen Seufzen sah Merla auf: „Das weiß ich auch nicht. Zehn Tage lang sah ich Anila nicht wieder. Dann tauchte sie auf und drohte mir, mich zu verraten. Als Nächstes befahl Laurent, alle, die den Bewahrern feindlich gesinnt waren und die noch einen Hauch von Widerstandsgeist in sich hatten, zu verfolgen“, sie hob die Schultern, „daher floh ich aus Hamada. Mehr kann ich dir nicht sagen. Aber Anila ist nicht mehr sie selbst. Wenn du mich fragst, kontrollieren die Bewahrer sie ebenso wie Laurent“, sie verstummte und sah Arthenius erwartungsvoll an. Sie wusste nicht, welche Reaktion sie sich erhofft hatte, aber sein nachdenklicher, in die Ferne gerichteter Blick entmutigte sie. Sie ließ den Kopf hängen und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
„Damit hätten wir rechnen müssen“, bemerkte Arthenius, endlich mehr an sich als an Merla gewandt, „aber es ändert nichts.“
Er stand auf und trat an das Fenster, an dem Merla zuvor gestanden hatte. Lange Zeit blickte er auf die grünen, ineinander verschlungenen Pflanzen, die sich an den Wänden von Sibelius’ Haus hinaufrankten und hier inmitten der Wüste fremd und exotisch wirkten. Sie gehörten zu einer anderen Welt, die hier in Hamada kaum mehr als ein Traum war, ein Abbild dessen, was hätte sein können, hätten die Bewahrer nicht angefangen, nach Macht zu gieren.
„Arthenius?“, er drehte sich um, als Merlas Stimme hinter ihm erklang, „glaubst du wirklich, dass Larenia den …“, sie suchte nach einem passenden Wort, fand aber keins, „den Bann der Bewahrer brechen kann?“
Seufzend lehnte er sich an die Wand. Deutlich erinnerte er sich an die unglaubliche Macht, die sie entfesseln konnte, diese ungeheure Kraft, der nichts und niemand standhalten konnte, und ebenso genau kannte er die Kompromisslosigkeit, zu der sie fähig war. So wie damals im Kampf gegen die Druiden in Arida. Damals hatte sie sich vor ihren eigenen Fähigkeiten gefürchtet, aber jetzt würde sie nicht mehr zögern. Noch einmal glaubte er zu hören, was sie in der Nacht vor der Schlacht um Arida zu ihm gesagt hatte: Ich möchte niemanden verletzen. Wie kann ich entscheiden, wer sterben soll und wer das Recht hat zu leben? Und dennoch … Wie könnte ich nichts tun, da ich doch die Macht habe, etwas zu ändern? Er wusste nicht, wann sie aufgehört hatte zu zweifeln, doch jetzt würde sie alles tun, um Metargia zu retten, unabhängig davon, was es sie kosten würde.
„Ja“, sagte er schließlich mit leiser, fester Stimme, „das glaube ich.“ Aber beinahe wünschte ich, sie hätte diese Macht nicht. Er sprach es nicht laut aus und Merla ahnte nichts von seinen Gedanken. Mit einem unsicheren Lächeln sah sie ihn an: „Dann werde ich jetzt gehen. Vielleicht treffe ich irgendwo in Anaiedoro jemanden, der nicht zu eingeschüchtert ist, um uns zu helfen.“
Sie griff nach ihrem staubigen Mantel, riss die Tür auf und verschwand. Einen Augenblick lang sah Arthenius ihr nach, dann richtete er sich auf und verließ ebenfalls das Haus. Früher hatte er unter den Bewahrern ein paar Freunde gehabt und vielleicht konnte er sie finden und überzeugen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Er schloss die Tür hinter sich, und als er sich umdrehte, stand er plötzlich Larenia gegenüber. Sie sagte kein Wort, doch für einen kurzen Augenblick sah sie ihn an und Arthenius erschrak vor dem, was er in ihrem Gesicht sah. Da war nichts, keine Angst, Sorge oder Verzweiflung, nicht einmal die eisige Kälte, die er so oft bei ihr
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