Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Aber unsere Aufgabe war es nur, die Brochonier so lange wie möglich aufzuhalten. Der eigentliche Kampf würde in Askana stattfinden. Und zumindest Felicius war kein Krieger. Er konnte uns hier nicht helfen, ebenso wenig wie Philipe oder Philipus.
So sah es also am Ende des ersten Monats in Arida aus. Wir waren bereit, und so gut es ging, auf alles vorbereitet. Jetzt warteten wir auf den unvermeidlichen Angriff. Das Schlimmste jedoch war, dass wir keinerlei Nachrichten erhielten, weder aus Askana noch von Larenia und Arthenius oder den Brochoniern. Die Welt um uns herum hätte aufhören können zu existieren, ohne dass wir es bemerkt hätten. Und genau darauf warteten wir: auf das Ende der Welt.
Sécunda
Es war bereits dunkel, als Pierre am ersten Abend des zweiten Monats Zoras Haus betrat. Er war allein gekommen. Soweit er wusste, war es das erste Mal, dass sich so viele führende Mitglieder des Widerstandes an einem Ort versammelten, und Collyn und er waren sich einig gewesen, dass sie keine überflüssige Aufmerksamkeit auf dieses Treffen lenken wollten. Daher trug er heute auch nicht seine Uniform, sondern die dunkle Kleidung, die für die Bewohner Butroks typisch zu sein schien.
Das Erste, was ihm auffiel, als er in Zoras Wohnzimmer trat, war eine junge Frau in einem sehr knapp sitzenden Kleid mit bis zur Hüfte geschlitztem Rock, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der Tischkante saß und mit der linken Fußspitze wippte. Als sie Pierre bemerkte, glitt sie von ihrem Sitz herab und ging auf ihn zu. Dabei schüttelte sie ihr langes, schwarzes Haar aus ihrem Gesicht.
„Hast du dich verlaufen, Süßer?“, schnurrte sie und legte ihm ihre rechte Hand auf die Brust. „Vielleicht kann ich dir weiterhelfen.“
Einen Augenblick lang stand er da wie versteinert. Dann fasste er sich und schob sie zur Seite: „Das glaube ich kaum“, er trat an der jungen Frau vorbei in die Mitte des Raums, „wer bist du eigentlich? Und wo steckt Zora?“
Das Mädchen zeigte sich wenig beeindruckt von seiner Zurückweisung. Mit zwei schnellen Schritten trat sie neben ihn und schmiegte sich an seinen Arm: „Warum suchst du nach Zora, wenn du mich haben kannst?“
„Übertreib es nicht, Ika“, kühl und spöttisch erklang Zoras Stimme hinter ihnen. Sie drängte sich zwischen die beiden und bedachte Pierre trotz ihrer offensichtlichen Nervosität mit einem kurzen, schadenfrohen Grinsen, bevor sie sich an die junge Frau wandte: „Ika, das ist Pierre. Wir sind jetzt vollständig, also folgt mir.“
Zora führte sie durch zwei kleine Räume in ein größeres Zimmer, in dem sich bereits zehn Menschen versammelt hatten. Kaum hatten sie den Raum betreten, verriegelte sie die Tür. Einen Augenblick lang stand sie lauschend da. Erst als sie sicher war, dass es im ganzen Haus still war, drehte sie sich zu der Versammlung um.
„Da wir jetzt alle hier sind, lasst uns beginnen“, mit einer vagen Handbewegung deutete sie hinter sich, „das ist Pierre …“
An dieser Stelle wurde sie von einem grimmig aussehenden Mann, der im hinteren Teil des Zimmers mit vor der Brust verschränkten Armen saß, unterbrochen: „Wo ist Collyn? Ich dachte, er ist für Butrok verantwortlich.“
„Das stimmt schon, Herrik, aber –“
Auch dieses Mal konnte sie nicht aussprechen. Ein junger Mann mit der schlanken, feingliedrigen Gestalt, die in Pierres Augen für die Kandari so kennzeichnend war, trat vor und starrte Pierre feindselig an: „Woher weißt du, dass er kein Spion ist? Er ist kein Brochonier“, dann kniff er plötzlich die Augen zusammen, „er ist ja nicht einmal ein Mensch.“
Alle außer Zora schnappten überrascht nach Luft und Ika, die sich noch immer an Pierres Arm klammerte, wich hastig ein Stück zurück. Der Einzige, der vollkommen ruhig blieb, war Pierre selbst. Mit einem kalten Lächeln sah er den jungen Mann an: „Woher weißt du das? Bist du ein Druide?“
Der Junge, sein Name war Silvano, zuckte kaum merklich zusammen und für einen kurzen Moment funkelte tief sitzender, lang genährter Hass in seinen Augen, aber als er schließlich antwortete, klang seine Stimme beherrscht, sodass Pierre an Larenia denken musste.
„Mein Vater ist ein Druide und ich habe etwas von seiner Begabung geerbt. Außerdem bin ich nicht völlig blind.“
„Und du hast recht“, amüsiert sah Pierre Silvano an, „ich bin ein Kandari. Wir haben gemeinsame Feinde.“
„Aber das macht uns nicht automatisch zu
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