Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Vorhut anführen. Wir reiten mit der Nachhut, zumindest bis zur Grenze“, er dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern, sodass nur Laurent seine nächsten Worte verstehen konnte: „Sie sind beunruhigt. Nie zuvor sind die Kandari ohne die Unterstützung der Bewahrer in den Krieg gezogen.“
„Ich verstehe das nicht“, auch Laurent sprach jetzt sehr leise, „ich dachte, sie sind froh darüber, dass die Bewahrer gestürzt wurden.“
„Sind sie auch. Aber das bedeutet nicht, dass sie auf magische Unterstützung verzichten wollen.“
Laurent schüttelte den Kopf und saß auf: „Das lässt sich nicht ändern. Immerhin verdankte Hamada seine Vormachtstellung seiner militärischen Stärke“, er drehte sich zu seinem Herold um: „Gib das Zeichen zum Aufbruch.“
Der Mann entfernte sich und kurz darauf erschallte ein einzelnes Horn. Laurents Begleiter schwangen sich auf ihre Pferde und Roxana ritt an die Spitze der Armee. Im nächsten Augenblick setzte sich das gewaltige Heer der Kandari in Bewegung. Sie marschierten durch die leeren Straßen der Stadt. Nichts war zu hören außer dem leisen Rascheln der Mäntel, dem Echo ihrer Schritte und dem leisen Trappeln der Pferdehufe.
Dann, in dem Moment, in dem Laurent die Stadtgrenze überquerte und in die Wüste hinausritt, ging die Sonne auf. Er drehte sich im Sattel um und sah auf Anaiedoro, seine Stadt, das Herz seines Königreiches, zurück. Die Mauern erstrahlten im rotgoldenen Morgenlicht und erweckten den Glanz längst vergangener Zeiten zu neuem Leben. Nie zuvor war ihm Anaiedoro so schön erschienen. Doch schließlich riss er sich vom Anblick seiner Stadt los und wandte sich der unendlichen Weite der Wüste und dem Weg, der vor ihm lag, zu.
Die letzten Tage des Monats vergingen, in den Augen der Anorianer zu schnell. Jeder Moment war jetzt kostbar, denn niemand wusste, was die Zukunft bringen würde. Beinahe schien es, als würden die Menschen intensiver leben, als versuchten sie, ihre Umgebung noch ein letztes Mal mit allen Sinnen wahrzunehmen, während um sie herum der Schnee schmolz und der Angriff der Brochonier immer näher rückte. Und dann dämmerte der letzte Tag des Monats …
Von einem erhöhten Aussichtspunkt aus beobachtete Laurent den Aufbruch seines Heeres. In weiter Ferne konnte er bereits die scharfen Konturen des Grenzgebirges erkennen. Zwei Tagesmärsche trennten sie jetzt noch vom Pass von Ariana und der König konnte beinahe beobachten, wie die Zuversicht seiner Soldaten wuchs. Zum ersten Mal seit dem Ende des großen Krieges im ersten Zeitalter hatte sich die gewaltige Streitmacht des Imperiums erhoben und allmählich erkannten sie, dass sie stark waren, auch jetzt noch, nach all den Jahrhunderten, ein großes, stolzes Volk. Doch an diesem Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen die Wüste in ihr goldenes Licht tauchten, sah Laurent zurück und er schauderte. Die Welt veränderte sich. Das Hamada, das er gekannt und lange regiert hatte, gehörte der Vergangenheit an und in diesem Moment schien es ihm, als liefe er mit offenen Augen in sein eigenes Verderben …
Im gleichen Moment blieb Larenia viele Tagesmärsche entfernt auf einem hoch aufgewehten Dünenkamm stehen. Obwohl die Morgensonne bereits angenehm warm schien, sah sie sich fröstelnd um und blickte schließlich zum Himmel empor. Es war ein schöner Tag, klar und heiter, und trotzdem glaubte sie einen Augenblick lang, die sich auftürmenden Sturmwolken zu sehen. Eine Reise von zehn Tagen trennte sie jetzt noch von Askana. Unbewusst beschleunigte sie ihre Schritte und folgte Arthenius den steilen Abhang herab. Sie durfte nicht zu spät kommen …
Felicius, der durch die überfüllten Straßen von Askana hastete, achtete nicht auf den Sonnenaufgang. Er stieg über Müllhaufen und die dicht zusammengedrängt liegenden Leiber schlafender Menschen hinweg auf seinem Weg zur Burg. Die Stadt war hoffnungslos überfüllt. Es gab zu wenige Unterkünfte und Logis, der den Befehl über die Stadt übernommen hatte, hatte Nahrung, Trinkwasser und Feuerholz rationiert. Sie waren auf eine Belagerung vorbereitet, doch diese Vorbereitungen, so dachte Felicius, als er die Augen vor dem Elend der Menschen verschloss und weitereilte, hatten ihre Kräfte bereits bis zur Neige aufgezehrt. Sie brauchten ein Wunder, um zu überleben, das wusste der Heiler der Kandari. Im Schutz einer Mauer blieb er stehen und lauschte, aber alles, was er hörte, war das Wimmern hungriger Kinder, das Wehklagen einer
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