Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Glück, Rowena.“
Er hatte die Tür bereits halb geöffnet, als sie sich von ihrem Platz in der Zimmerecke löste.
„Pierre!“
Er blieb stehen und wandte sich schließlich zu ihr um.
„Wirst zu wiederkommen?“
Er sah sie ernst an: „Das kann ich dir nicht versprechen. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich diesen Krieg überlebe.“
„Wenn du überlebst und alles gut geht“, wiederholte sie mit einem flehenden Ausdruck in ihren großen Augen, „wirst du dann zurückkehren? Irgendwann einmal?“
Jetzt lächelte er: „Vielleicht. Eines Tages.“
Mehr sagte er nicht. Keine Versprechen, kein Trost. Mit einem letzten Lächeln, einer angedeuteten Verbeugung verabschiedete er sich und verschwand, bevor Rowena noch etwas sagen konnte. Lange starrte sie auf die Stelle, an der er gestanden hatte.
„Lebe wohl, Pierre“, wisperte sie endlich, „es war auch für mich eine Ehre.“ …
… Kurz entschlossen warf sie ihr Bündel in das tiefe, schwarze Wasser. Die Flotte war schon lange in der Ferne verschwunden, als Rowena dem Hafenbecken endlich den Rücken kehrte. Niemand bemerkte die Tränen in ihren Augen, als sie durch die belebten Straßen zum Palast zurückkehrte. Doch dann straffte sie sich. Jetzt war keine Zeit zum Weinen. Sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Laurent am Morgen des fünfundzwanzigsten Sécunda den Thronsaal verließ. Mit einem tiefen Seufzen schloss er die Tür hinter sich und ging mit schweren Schritten den nur spärlich von ein paar vereinzelten Fackeln beleuchteten Säulengang entlang zum Ausgang. Nie zuvor war ihm dieser Weg so endlos vorgekommen. Er ließ heute mehr hinter sich als seine Heimat. An diesem Tag, bei Sonnenaufgang, würde das Heer aufbrechen. Für den König der Kandari bedeutete dies das Ende des Friedens, den er jahrhundertelang um jeden Preis aufrechterhalten hatte. Er wollte nicht kämpfen. Er hatte sich lange gegen diese Entscheidung gewehrt und auch jetzt fügte er sich nur zögernd in die Notwendigkeit.
Laut und unwirklich hallten seine Schritte in dem leeren Gang wider, als Laurent in seiner schweren, jede Bewegung behindernden Rüstung schwermütig und tief in seine düsteren Gedanken verstrickt auf die hohe Flügeltür zuging. Das gewaltige Breitschwert, das an seiner Seite hing, schlug gegen seine Wade, als er auf die Freitreppe hinaustrat in die kühle, klare Morgenluft. Einen Augenblick lang blieb er stehen und ließ den Blick über die wohlgeordneten Reihen der Kandari schweifen, die sich auf dem Schlossplatz versammelt hatten. Siebentausend waren seinem Ruf gefolgt, viel mehr, als der König erwartet hatte. Schweigend und diszipliniert standen sie da, kaum sichtbar in ihren dunkelblauen Mänteln im grauen Morgenlicht. Laurent fühlte ihre auf ihn gerichteten Blicke, ihre Hoffnungen und Erwartungen. Vielleicht glaubten sie, dass dies der Beginn eines neuen Zeitalters war, in dem nicht die Machtgier der Bewahrer, sondern die Bedürfnisse des Volkes die Entscheidungen ihres Königs bestimmen würden.
Würdevoll stieg der König die Stufen hinab. Hier, am Fuß der Treppe erwartete ihn sein Bannerträger, der sich tief vor ihm verbeugte und dann mit der Standarte des vereinigten Imperiums, dem siebenzackigen Stern auf blauem Grund, vor Laurent durch die Reihen der Kandari auf eine Gruppe von vielleicht zwanzig Reitern zuschritt, die vor der Mauer der Akademie warteten. Die Soldaten der königlichen Garde, erkennbar an ihren schweren, glänzenden Rüstungen aus Silberstahl, wichen zurück, sodass Laurent zwischen ihnen hindurch auf Sibelius zugehen konnte, der in ein Gespräch mit zwei weiteren Kandari vertieft war. Als er den König erblickte, beendete er seine Unterhaltung. In diesem Moment hätte Laurent gern gewusst, was sein Heerführer dachte, doch Sibelius’ Gesichtsausdruck wirkte undurchdringlich und in seiner Miene widerspiegelte sich keine Spur seiner eigenen düsteren Vorahnungen, sondern nur ruhige Gelassenheit.
„Ist alles bereit?“, ein Herold drückte Laurent die Zügel seines Pferdes in die Hand und zog sich hastig zurück. „Kennt jeder seine Befehle?“
Sibelius nickte und tätschelte dabei den Hals seines Pferdes. In den letzten Tagen hatte er nahezu Unmögliches geleistet. Ihm verdankte es Laurent, dass all seine Soldaten bewaffnet und ausgerüstet waren. Jetzt ließ er nachdenklich den Blick über die Armee, die er befehligen würde, schweifen, bevor er antwortete: „Roxana wird die
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