Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
gerettet.“
„Sie werden nicht kommen“, ertönte eine leise, sehr sachliche Stimme hinter ihnen, „die Kandari fechten eine andere Schlacht im Norden aus und Larenia wird Mühe haben, rechtzeitig in Askana zu sein. Setze keine Hoffnung in Hilfe von außen. Sie wird nicht kommen.“
Erstaunt sahen sich die Anwesenden um und entdeckten François, der, den Kopf in die Hände gestützt, auf einer Bank hinter ihnen saß. Keiner von ihnen hatte den Kandari bemerkt und auch jetzt sah er nicht einmal auf.
„Darauf sind wir auch nicht angewiesen“, sosehr Julien sich auch um Zuversicht bemühte, seine Stimme klang hohl und er konnte den unsteten Blick seiner Augen nicht verbergen, „wir müssen die Kämpfe so lange wie möglich auf den Hafen begrenzen. Sobald die Brochonier in den Südteil der Stadt vordringen, gibt es keine Fluchtmöglichkeit mehr.“
Tarak nickte zustimmend: „Daher werden wir unsere Streitkräfte auf den äußeren Ring konzentrieren. Zweihundert Mann werden den Brochoniern im Hafen gegenübertreten. Fünfzig Gardisten unter Prinz Julius’ Befehl werden den zweiten Ring besetzen und so einen Rückzugsweg offen halten. Der Rest der königlichen Garde wird unter meinem Kommando den Palast und den inneren Ring verteidigen.“
„Gut“, François erhob sich, „die Brochonier werden einen vollständigen Sieg anstreben und nicht weitermarschieren, bevor der Palast gefallen ist. Dadurch gewinnen wir noch einmal Zeit“, er wollte gehen, blieb dann aber noch einmal stehen und drehte sich zu Tarak um, „an der Südmauer stehen etwa fünfzig Pferde bereit. Wenn der Kampf verloren scheint und sich die Möglichkeit zur Flucht bietet, verschwindet von hier. Sagt das euren Männern.“
Er ging und auch Julius, Dalinius und Raffi verließen kurz darauf den Thronsaal.
Julien sah ihnen lange Zeit nach. Schließlich wandte er sich mit einem tiefen Seufzen an Tarak. Der Kommandant der Garde hatte ihm während seiner gesamten Regierungszeit treu gedient und Julien fühlte sich beinahe schuldig, weil er den Mann zwang, sein Schicksal zu teilen. Sie wussten beide, dass sie nicht fliehen würden.
„Ein Sturm zieht auf“, sagte der König mit leiser Stimme, die von den Wänden um ein Hundertfaches verstärkt zurückgeworfen wurde, „die Frage ist nun, ob wir ihm standhalten können.“
Tértia – Julius und der Fall von Arida
Am frühen Morgen trat Julius aus dem Schutz des Wachturms in den eisigen Frühlingsregen hinaus. Es war noch dunkel und so tastete er sich vorsichtig eine steile, rutschige Treppe hinauf auf die Mauer des inneren Ringes. Die Dämmerung war noch nicht angebrochen an diesem zweiten Tag des Monats Tértia und dennoch brannte weder in den Wachtürmen noch im Hafen, der sich jetzt vor Julius erstreckte, eine einzige Fackel.
Mit klammen, steifen Fingern wischte sich der junge Prinz das Regenwasser aus den Augen und blieb neben Raphael, den er trotz der Dunkelheit erkannte und der sich auf seinen Langbogen stützte, stehen.
„Irgendeine Bewegung dort unten?“, fragte er mit gedämpfter Stimme.
Raffi schüttelte den Kopf: „Nichts, seitdem ich Dalinius um Mitternacht abgelöst habe“, er klang sehr nervös und Julius wunderte sich nicht darüber. Gestern Abend hatte die brochonische Flotte im Hafen von Arida angelegt, doch sie griffen nicht an. Sie verhielten sich einfach still und warteten auf das Tageslicht. Auch das erstaunte Julius nicht. Die Dunkelheit verschaffte den Anorianern einen entscheidenden Vorteil, denn sie kannten die Stadt im Gegensatz zu den Brochoniern sehr genau. Darauf basierte auch François’ Taktik, der die zweihundert Soldaten im Hafen befehligte. Sie lauerten im Schutz der Häuser, um ihre Gegner in Straßenkämpfe zu verwickeln. Und auch sie warteten.
Julius strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Die wenigen Augenblicke, die er im Regen gestanden hatte, hatten genügt, um ihn bis auf die Haut zu durchnässen. Mit einem ergebenen Seufzen wandte er sich an Raffi: „Die Sonne wird bald aufgehen. Geh und wecke die anderen. Aber seid leise und kein Licht!“
Der junge Mann nickte und eilte wortlos davon und Julius blieb allein in der Dunkelheit zurück. Mit brennenden Augen blickte er auf den Hafen hinab, wo die riesigen schwarzen Schiffe, in der Nacht nur als monströse Umrisse zu erkennen, vor Anker lagen, während die Soldaten um ihn herum die Mauer besetzten. Schließlich erschienen Dalinius und Raphael wieder neben ihm. Lautlos wie
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