Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
betrachtete er den Waldläufer. Sibelius neben ihm schüttelte missbilligend den Kopf, doch der König ignorierte ihn ebenso wie die wachsende Unruhe seiner Soldaten. Loran allerdings schien keine andere Reaktion erwartet zu haben. Tatsächlich hatte er Mühe, ein ironisches Lächeln zu unterdrücken, als er schließlich antwortete: „Larenia sagte uns, dass Ihr so denken würdet. Und darum gab sie uns dies“, er trat ein paar Schritte näher und griff in seine Manteltasche. Sofort griffen die Gardisten nach ihren Waffen, doch Sibelius hielt sie mit einer knappen Handbewegung zurück.
Laurent achtete nicht auf die Aufregung seiner Soldaten. Mit misstrauisch zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete er, wie der Waldläufer noch zwei weitere Schritte näher trat und ihm schließlich die rechte Handfläche entgegenstreckte. Einen Augenblick lang sah der König ihn an, ohne zu begreifen, was Lorna ihm zeigen wollte. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich und er holte bereits Luft für eine ungeduldige Antwort. Dann aber begriff er. Mit überrascht aufgerissenen Augen starrte er auf den schmalen, weißgoldenen Stirnreif in der Hand des Menschen. Er kannte dieses kunstvoll geschmiedete Schmuckstück, jede Einzelheit ebenso wie seine Bedeutung. Und mit dieser Erkenntnis kehrte sein Argwohn zurück.
„Woher hast du das?“, so schnell, dass nicht einmal Sibelius seinen Bewegungen folgen konnte, war er aus dem Sattel gesprungen und mit erhobener Waffe auf den Waldläufer zugetreten. „Dies ist das Kennzeichen des Thronerben von Hamada. Du hast kein Recht, es zu besitzen!“
Erschrocken wich Loran einen halben Schritt zurück, doch bevor er antworten konnte, stand Sibelius zwischen ihnen und legte beruhigend die Hand auf den Arm des Königs: „Er vielleicht nicht, aber Larenia hat jedes Recht, es zu tragen“, nach einer kurzen, dennoch deutlich spürbaren Pause fügte er hinzu, „zumindest hatte sie das einst.“
Für die Dauer eines Herzschlages standen sie sich noch so gegenüber. Dann ließ Laurent sein Schwert sinken: „Und du glaubst wirklich, dass sie es diesem … diesem Menschen gegeben hätte?“
Der Heerführer antwortete mit einem Schulterzucken: „Es scheint so. Ich wüsste nicht, woher er es sonst haben sollte“, ein kurzes, beinahe spöttisches Lächeln huschte über sein Gesicht, „Larenia hatte immer eine etwas andere Auffassung von der Vertrauenswürdigkeit der Menschen.“
Laurent sah seinen Heerführer einen Augenblick lang scharf an, dann schob er sein Schwert mit sichtlicher Überwindung zurück in die Scheide und wandte sich erneut an Loran. Als er endlich sprach, klang er zwar noch immer unverhohlen misstrauisch, doch die offene Feindseligkeit war aus seiner Stimme verschwunden.
„Also, wie sieht euer Plan aus?“
„Wir können euch zur Grenze Aquaniens führen. Sie liegt drei Tagesritte entfernt und wird von einem großen brochonischen Heer bewacht“, der Waldläufer verstummte und suchte einen Moment lang nach Worten, „ihre Befestigungsanlagen sind sehr stark, jedoch nicht unüberwindlich. Und wir werden an eurer Seite kämpfen, wenn ihr es wünscht, denn dieser Krieg betrifft uns ebenso wie die Kandari.“
Diesen Worten folgte ein langes Schweigen, während Laurent das Angebot des Menschen überdachte. Jetzt, da er Loran und seine Umgebung erneut kritisch musterte, erkannte er mehrere andere Gestalten zwischen den Bäumen. Im ewigen Zwielicht dieses Landes fühlte er sich halb blind und er wusste, seinen Soldaten ging es genauso. Es würde hilfreich sein, Verbündete zu haben, die an diese Bedingungen gewöhnt waren. Mit einer Mischung aus neu erwachtem Interesse und widerwilliger Anerkennung wandte er sich wieder an den Anführer der Waldläufer.
„Wie viele seid ihr?“
Mit einer vagen Geste deutete Loran hinter sich: „Ich habe nur hundert Reiter bei mir, denn wir sind wenige geworden und wir leben weit verstreut. Weitere fünfzig werden an der Grenze zu uns stoßen. Ich würde euch gern mehr Unterstützung anbieten“, fügte er beinahe entschuldigend hinzu, „doch der Großteil meines Volkes kämpft weit entfernt im Süden, um die Grenze zwischen Firanien und Aquanien möglichst lange zu halten.“
Laurent nickte. Er wusste, wie angreifbar die Fürstentümer der Menschen waren und dass die Menschen gezwungen waren, an zu vielen Fronten gleichzeitig zu kämpfen.
„Nun gut“, sagte er schließlich, „gebt mir einen Augenblick Zeit, dann werde ich euch meine
Weitere Kostenlose Bücher