Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
bei Bewusstsein war, „ich bin kein Heiler, ich kann dir nicht sagen, wie schlimm seine Verletzung ist. Darum liegt mir auch so viel daran, Askana schnell zu erreichen.“
Julius nickte geistesabwesend: „Was ist mit dir?“
„Mit mir?“, irritiert sah er ihn an und erst dann schien er zu begreifen, warum Julius so fassungslos seine Hände anstarrte, „mir geht es gut. Felicius kann sich darum kümmern, sobald wir in Askana sind“, er zuckte erneut mit den Schultern, blickte zu Dalinius und Raffi und sein Gesichtsausdruck wurde weicher, „nun gut, ruht euch aus. Ich werde Wache halten.“
Gemeinsam kehrten sie zu den beiden anderen zurück.
Julius kniete sich neben Raffi und teilte ihm flüsternd mit, was sie entschieden hatten, doch François blieb stehen. Aufmerksam ließ er den Blick über die nächtliche Hochebene schweifen, plötzlich aber erstarrte er mitten in der Bewegung. Im Westen, weit entfernt von ihrem Standort, glühte der Himmel in einem geisterhaften roten Licht. Der Seewind fegte jetzt eisig kalt über die Ebene, und als François die Hand ausstreckte, erkannte er, dass das, was er für Schnee gehalten hatte, Asche war.
„Was ist das?“, Julius war neben ihn getreten und starrte wie gebannt in Richtung Arida. „François! Was bedeutet das?“ Der Kandari antwortete nicht sofort. Lange Zeit sah er Julius auf sehr sonderbare Weise an, und als er schließlich sprach, klang seine Stimme fremd und ausdruckslos: „Arida ist gefallen.“
„Gefallen?“, Julius blinzelte ungläubig. „Und was ist mit meinem Vater?“
Einen Augenblick lang wirkte der Gesichtsausdruck des Gildesprechers leer und hoch konzentriert, dann wandte er den Blick ab: „Julien ist tot.“
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Julius François an. Dann biss er die Zähne zusammen und drehte sich um. Mit erzwungener Ruhe setzte er sich wieder neben Dalinius, doch er sprach in dieser Nacht kein Wort mehr.
Julius erzählt:
Heute kann ich mich kaum an diese Nacht erinnern. Ich saß in der Dunkelheit und versuchte, den Schmerz in meinem Inneren zu betäuben. Seitdem wir Arida verlassen hatten, hatte ich auf die Nachricht von Juliens Tod gewartet. Ich hatte gewusst, dass der Abschied von meinem Vater endgültig gewesen war. Warum nur tat es jetzt so weh?
In dieser Nacht begriff ich zum ersten Mal den Unterschied zwischen Befürchtung und Wirklichkeit. Es war die Tatsache, dass es nun keine Hoffnung mehr gab – nichts mehr, egal wie irrational es scheinen mochte, woran man sich klammern könnte –, die schmerzte.
Einmal sprach Dalinius mich an, doch ich schüttelte nur verbissen und wortlos den Kopf. Ich wollte und konnte nicht darüber reden, zumindest jetzt noch nicht. Vielleicht verstand er das, jedenfalls versuchte er nicht mehr, mit mir zu sprechen.
Schließlich dämmerte der nächste Morgen. Halb erfroren und vollkommen übernächtigt erhoben wir uns.
Im ersten Tageslicht betrachtete ich meine Gefährten. Dalinius sah furchtbar aus. Die linke Hälfte seines Gesichtes war blutverschmiert und in der blassen Dämmerung wirkte seine Haut beinahe grau. Er konnte sich kaum aufrecht halten. Letztendlich bedeutete ihm François mit einer ungeduldigen Handbewegung, sitzen zu bleiben, bis wir anderen die Pferde gesattelt hatten. Allerdings bot der Kandari kaum einen besseren Anblick. Seine Augen glänzten fiebrig in seinem bleichen Gesicht und er hielt den linken Arm steif in einem unnatürlich anmutenden Winkel. Unwillkürlich blickte ich auf meine Hände herab, an denen noch immer sein Blut klebte. Das alles konnte François jedoch nicht davon abhalten, unsere Gruppe so schnell wie möglich weiter in Richtung Askana zu führen. Ich warf Raphael, der anscheinend den gleichen Gedanken gefolgt war, ein mattes Lächeln zu. Der junge Terranier sah sehr erschöpft aus, doch er beklagte sich nicht. Und auch ich stritt nicht mehr mit François über die Anzahl unserer Pausen, obwohl wir unsere Reise an diesem Tag nur ein einziges Mal unterbrachen und auch nach Einbruch der Nacht weiterritten. So erreichten wir schließlich am Mittag des siebten Tages dieses Monats Askana.
Das Heer der Kandari
So viel Grün, dachte Sibelius mit einer Mischung aus Erstaunen und Verwunderung. Alles in diesem Land war grün, das dichte Unterholz des Waldes, das Licht, das durch das Blätterdach über ihnen schien, und sogar die Stämme der Bäume waren mit Moos überzogen. Bereits seit zwei Tagen, seitdem sie den
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