Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
gesehen hatte.
„Es ist wunderschön dort“, für einen Augenblick suchte sie nach Worten, „Zeit hat keine Bedeutung in Asana’dra. Die Tage reihen sich aneinander, ohne dass man ihr Vergehen bemerkt. Und doch ist jeder Moment erfüllt und voller Leben. Die Tage sind warm und golden, und die Nächte klar und angenehm kühl.“
Larenia sah zu ihm auf und Arthenius hatte das Gefühl, sich in ihren Augen zu verlieren. Und plötzlich verstand er, was sie mit Worten nicht ausdrücken konnte …
Ein flüchtiger Eindruck von grün-goldenem Licht und unendlicher Frieden unter hohen, gerade gewachsenen Bäumen mit silbernen Stämmen. Alles war eins und dieses eine war Frieden, Liebe und Harmonie. Egal wo man war, man war niemals allein. Stets nahm man die Gedanken anderer wahr, ohne dass sie sich aufdrängten. Jedoch begegnete man selten einem anderen. Dies war der Zauber von Asana’dra. Und wer diese Magie einmal gespürt hatte, sehnte sich stets zurück …
Es war ein Teil von Larenias Wesen. Ihre Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit war letztendlich nur eine andere Form von Heimweh. Seitdem sie mit sechzehn Jahren die Insel verlassen hatte, war sie nicht mehr zurückgekehrt.
Arthenius erwiderte ihr Lächeln. Für einen Augenblick waren Schmerz und Bitterkeit ausgelöscht, Raum und Zeit waren bedeutungslos. Dann senkte Larenia den Blick und der Zauber des Augenblicks verging.
„Ich wünschte, ich wäre wieder dort.“
Ihr Lächeln verblasste und ihr Gesichtsausdruck wurde wehmütig.
„Warum bist du damals nicht zurückgekehrt? Wegen des Eides?“
Larenia antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. Seit ihrer Ankunft in Anaiedoro waren all ihre Handlungen bestimmt gewesen von einem Eid, den man ihr aufgezwungen hatte, bevor sie die Tragweite dessen, was sie geschworen hatte, ermessen konnte. Und dennoch hatte sie ihr Wort gehalten, auch wenn es dreihundert Jahre im Exil bedeutete.
„Für mich gibt es jetzt kein Zurück mehr, selbst wenn ich heute nach Asana’dra gehen könnte“, sie sah Arthenius an, obwohl es ihr inzwischen sichtlich schwerfiel, die Augen offen zu halten, „meine Aufgabe liegt jetzt hier. Ich habe sie mir selbst gewählt.“
Julius erzählt:
Wir hatten also in dieser ersten Schlacht gesiegt, auch wenn wir diesen Sieg mit vielen Opfern erkauft hatten. Und obwohl es niemanden gab, der nicht einen geliebten Menschen oder etwas von seinem Besitz verloren hatte, schien ein Hauch von Euphorie die Bevölkerung zu erfassen, nachdem zehn Tage vergangen waren ohne eine Nachricht von den Brochoniern. Inzwischen waren die Aufräumarbeiten weit fortgeschritten. Natürlich konnte niemand die Spuren dieses Kampfes völlig beseitigen, doch Arida gewann etwas von seinem alten Glanz zurück.
Was mich betraf, ich konnte nicht so schnell vergessen. Nie würde ich dieses letzte Stück des Weges durch das brennende Arida vergessen. In diesem Augenblick glaubte ich mein eigenes Leben, all meine Hoffnungen und Träume in Trümmern liegen zu sehen. Dazu kam, dass ich nicht wusste, wer von meiner Familie und von meinen Freunden noch lebte, obwohl mir Larenia versicherte, dass ihnen nichts geschehen war. Noch heute, nach so vielen Jahren, habe ich Albträume, und immer, wenn ich Rauch rieche, denke ich an die Hitze, das Knacken und Prasseln der Flammen und das plötzliche Auflodern des Feuers hinter uns. Ich hatte unglaubliche Angst, doch der Schrecken des Augenblicks wurde überlagert von der Furcht vor dem, was noch kommen würde, und der Sorge um jene, die ich liebte.
Je weniger über diese Schlacht gesagt wird, desto besser. Es war entsetzlich, mehr gibt es nicht zu sagen. Letztendlich überlebten wir.
Doch damit war der Krieg nicht zu Ende, das verdeutlichte uns Larenia sehr eindrucksvoll. Dieser erste Angriff war nur eine Warnung gewesen. Und die Kraft, die es uns gekostet hatte, die Brochonier zurückzuschlagen, sollte uns eher erschrecken als mit Zuversicht erfüllen. Nachdem ich so viele Tage mit Larenia unterwegs gewesen war, hatte ich jede derartige Hoffnung schon verloren, bevor wir überhaupt nach Arida zurückgekehrt waren. Doch mein Vater hatte noch nicht aufgehört zu hoffen. Umso härter traf ihn die Erkenntnis, dass das Schlimmste erst noch kommen würde. Überhaupt erschienen mir meine Eltern sehr verändert. Mein Vater hatte aufgegeben. Was immer noch geschehen mochte, sein Lebenswerk war vernichtet. Seine Aufgaben verrichtete er mechanisch und manchmal war ich mir
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