Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Innerhalb kürzester Zeit waren sie bis auf die Haut durchnässt. Rauch stieg auf, als das Feuer langsam erlosch.
Felicius sah wieder zu Larenia. Sie stand noch immer bewegungslos da, doch die Gildemitglieder fühlten, dass ein gewaltiger Kampf stattfand. Ein unsichtbares und erbarmungsloses Ringen, bei dem es nur einen Sieger geben konnte. Und noch immer tobte der Sturm.
Sie wussten nicht, wie viel Zeit verging. Aber jeder Einzelne, sogar die Menschen ohne magische Begabung, spürten die unglaublichen Kräfte, welche die brochonischen Druiden und die Gildeherrin freisetzten. Freund und Feind zitterten vor ihrer entsetzlichen Macht. Dann geschah … etwas. Der Schutzschild der brochonischen Druiden zerbrach. Einer der Brochonier strauchelte und Arthenius, der noch immer Larenias Gedanken wahrnahm, fühlte das langsame Dahinschwinden seines Geistes gefolgt von einem klaffenden Nichts. Und auch die anderen Druiden hatten Larenias entfesselten Kräften nichts entgegenzusetzen.
Die letzten Flammen erloschen und die Anorianer griffen ihre verängstigten Feinde an. Der Tod ihrer Druiden, die sie für unschlagbar gehalten hatten, hatte sie ernüchtert. Ohne ihre Macht und das Bewusstsein, unbesiegbar zu sein, waren die brochonischen Soldaten auch nicht mehr als ein Haufen verschreckter Menschen.
Und noch immer regnete es. Bedrohliches Donnergrollen erklang, diesmal aus größerer Nähe. Wahre Sturzbäche rannen die Straßen entlang und spülten die Spuren des Brandes davon.
Arthenius sah zu Larenia. Das strahlende Licht hüllte sie noch immer ein. Sie taumelte und sank auf die Knie. In ihren Augen schimmerte der Wahnsinn.
„Was tut sie denn da?“, Felicius musste schreien, um das Brüllen des Sturms zu übertönen. „Unsere Feinde sind besiegt, zumindest werden sie es bald sein. Wenn sie nicht aufhört, wird sie die ganze Stadt ertränken.“
„Sie kann nicht. Sie hat die Kontrolle verloren.“
Arthenius wollte zu ihr eilen, ihr helfen, obwohl er nicht wusste, wie, aber Felicius hielt ihn zurück. In diesem Augenblick begann das Licht zu verblassen. Es blitzte noch einmal, gefolgt von einem letzten Donnern. Kurz darauf legte sich auch der Wind und Larenia verlor das Bewusstsein. Felicius ließ seinen Bruder los und Arthenius kniete neben ihr nieder. Im grauen Tageslicht wirkte ihr Gesicht erschreckend bleich. Hilflos sah er zu Felicius auf: „Was ist geschehen?“
„Sie hat ihre Magie gegen sich selbst gerichtet. Es gab keinen anderen Weg. Sie wird es überleben. Jeder andere“, fügte er leiser und mehr an sich selbst gewandt hinzu, „wäre jetzt tot.“
Der Regen fiel lautlos und ein einzelner Sonnenstrahl verirrte sich durch die grauen Wolken, als Arthenius Larenia hochhob und der Schlacht im Hafen den Rücken kehrte.
Die Schlacht war vorüber und Anoria, zumindest für den Moment, gerettet. Doch der Kampf hatte tiefe Spuren hinterlassen.
Am Tag nach der Schlacht stand Patricia auf der Palastmauer und blickte auf Arida hinunter. Die Spuren des Brandes wirkten wie eine hässliche Narbe, die das Antlitz der Stadt der Könige prägte. Die weißen Straßen waren durch Asche, Ruß und Regen grau geworden, und wenn man genau hinsah, konnte man Blutflecke erkennen. Im unteren Ring der Stadt stand kaum noch etwas. Im Hafenviertel war alles niedergebrannt, nur auf der Südseite der Stadt ragten ein paar Ruinen, die skelettähnlichen Überreste einstiger Pracht, in den Himmel. Von den Zitronenbäumen und Palmen war im äußeren Ring nichts mehr zu sehen.
Jeder einzelne verkohlte Überrest brannte sich in Patricias Gedächtnis ein. Es war ihre Schuld. Sie hatte ihr Land verraten, ihr Volk, jeden, den sie einst geliebt hatte. Nur durch ihr Tun war es den Brochoniern möglich gewesen, so schnell anzugreifen. Sie hatte geglaubt, es genießen zu können. Es sollte eine Strafe für Julien und die Gilde sein, doch getroffen hatte es letztendlich ihr Volk. So viele waren gestorben, sinnlos niedergemetzelt, weil sie sich mit ihrem Leben nicht aussöhnen, mit ihrem Schicksal nicht abfinden konnte. Dreihundert Anorianer waren tot, die Hälfte derer, die vor drei Tagen angetreten waren, um die Stadt zu verteidigen. Und es gab nichts, was sie tun konnte. Keinen Weg, ihre Schuld zu verkleinern.
Zuerst hatte sie aus Trotz gehandelt. Sie hatte sich eingeredet, ein edleres Motiv zu verfolgen, doch nun sah sie deutlich, dass es nur ihr verletzter Stolz gewesen war. Und später hatte sie Angst gehabt um ihr Leben. Aber
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