Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
überirdisches Wesen. Alles an ihr, ihr weißes Haar, ihre Augen, die groß, eindrucksvoll und dunkelblau wie der Himmel an einem klaren Sommerabend waren, schien einen Hauch zu perfekt, um Teil dieser Welt sein zu können. Jeder Einzelne in dem großen Saal starrte sie an. Es herrschte absolute, atemlose Stille.
Dann begannen die Musiker zu spielen. Sofort setzten auch die Gespräche wieder ein und das Essen wurde hereingetragen.
Julius verließ seinen Platz im Schatten der Säulen und trat auf die Gildemitglieder zu. Jetzt sah er die dunklen Schatten unter Larenias Augen, Felicius’ müden Blick und Pierres eingefallenes Gesicht, doch er stellte keine Fragen. Stattdessen sprach er ein paar belanglose und rein zeremonielle Worte zur Begrüßung.
Das Fest ging inzwischen weiter. Die Elfen mischten sich unter die Anorianer. Wein und Bier lockerten die Zungen und die Stimmung wurde immer ausgelassener. Cordac, der Fürst der Terranier, hing inzwischen mehr auf seinem Stuhl, als dass er saß. Lautstark erzählte er eine Geschichte nach der anderen, ebenso wie er einen Krug Bier nach dem anderen leerte. Pierre saß neben ihm, schenkte regelmäßig nach und schien sich dabei gut zu amüsieren. Neben dem großen, schlanken Elfen wirkte Cordac in seiner grün-braunen Kleidung mehr denn je wie ein plumper Bauer, der inzwischen nur noch lallte.
Seine Frau Rosaria hätte nicht unterschiedlicher sein können. Sie war mit den Ariana-Fürsten verwandt und besaß die familieneigene Klugheit und Weitsicht. Im Augenblick tanzte sie mit Ciaran, der anders als gewöhnlich nicht missmutig, sondern beinahe ausgelassen wirkte. Auch Julius gab seine Beobachtungen auf. Stattdessen tanzte er mit so ziemlich jeder jungen und den meisten älteren Damen.
Der Abend war schon weit fortgeschritten und niemand, mit Ausnahme von Larenia und vielleicht König Julien, war noch nüchtern genug, um seine Umgebung richtig wahrnehmen zu können. Julius ließ sich lachend und nach Luft schnappend auf einen Stuhl neben der Gildeherrin fallen.
„Was ist eigentlich mit dir passiert? Du siehst furchtbar aus“, seiner verwaschen klingenden Sprache nach zu urteilen, hatte auch er mehr als genug getrunken. Larenia lächelte nur. Dann sah sie an dem jungen Prinzen vorbei zur anderen Seite des Saals: „Du solltest mehr darauf achten, wem du deine Aufmerksamkeit schenkst. Du könntest missverstanden werden.“
Julius folgte ihrem Blick. Dort stand Elaine und neben ihr Linda, die Tochter von Fürst Eugen. Zu seiner Überraschung winkte sie ihm über die Köpfe der Menge hinweg zu. Offensichtlich hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, ihrer Familie zu mehr Anerkennung zu verhelfen, indem sie Königin von Anoria wurde. Julius wandte sich wieder Larenia zu, doch sie war schon gegangen.
„Was hast du Julius erzählt, dass er so verstört aussieht?“ Philipe und Philipus gesellten sich in einer Ecke zu ihr.
„Nichts, zumindest nichts von Bedeutung. Ich bezweifle, dass er sich morgen auch nur an ein Wort erinnern wird.“
Philipe grinste, während Philipus missbilligend die Stirn runzelte: „Sie übertreiben es etwas.“
Philipe lachte noch mehr: „Verdirb ihnen diesen Spaß nicht. Es wird noch genug Zeiten geben, in denen man ernst und griesgrämig sein kann.“
Philipe unterbrach sich, als ihm Larenias eindringlicher, erwartungsvoller Blick auffiel. Kein anderer hätte in seinen Worten mehr gesehen als eine belanglose Floskel, aber es war Philipes Gabe, Vergangenheit, Gegenwart und die Möglichkeiten der Zukunft zu sehen. Seit Tagen versuchte Larenia schon, ihn zum Reden zu bringen.
„Nein, ich werde es dir nicht sagen“, mit einem Lächeln nahm er seinen Worten die Schärfe, „von allen Möglichkeiten, die ich sehe, wird nur eine eintreten. Und es ist gefährlich, meine Gabe als Wegweiser zu benutzen. Ich habe es einmal getan. Du kennst das Ergebnis. Und alles, was ich dir sagen könnte, würde es nicht einfacher machen.“
Larenia seufzte. Sie hätte ihn zwingen oder seine Gedanken lesen können, doch sie tat es nicht. Stattdessen blickte sie geistesabwesend durch den Saal. Alle wirkten so fröhlich, beinahe glücklich.
Julius stand inzwischen wieder neben Elaine und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Beide kicherten.
Cordac, der Terranier-Fürst, schnarchte inzwischen lautstark. Pierre saß noch immer neben ihm und lachte, offensichtlich sehr zufrieden mit seinem Werk. Rosaria dagegen war tief in ein Gespräch mit Logis vertieft.
Linda hatte
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