Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
es aufgegeben, Julius zu verfolgen. Stattdessen hatte sie sich an Ciarans Fersen geheftet. Jedes Mal, wenn er sich zu ihr umdrehte, blinzelte sie ihm heftig zu. Eugen, ihr Vater, stand neben Juliens Sessel und sprach heftig gestikulierend auf ihn ein. François, der danebenstand, zog ihn ab und zu ein Stück zurück, wenn er dem König zu nahe kam. Arthenius und Felicius saßen nicht weit entfernt im Schatten auf einer Bank und unterhielten sich leise.
Währenddessen wurde weiterhin getanzt. Inzwischen war die Musik ausgelassener geworden und die Tänze und Umgangsformen hatten einiges von ihrer Förmlichkeit verloren.
Larenia wandte den Blick ab. Es war zu viel, zu viele Gedanken und Gefühle …
Die berauschte Fröhlichkeit der Menschen, die benebelte Ausgelassenheit und trunkene Glückseligkeit der bezechten Adligen, die sich hier versammelt hatten, um jedes andere Gefühl zu betäuben. Dazu kamen verborgene Schuldgefühle, die sie nicht einordnen konnte und die dennoch übermächtig waren. Und unter alldem lagen Schmerz und Verzweiflung. Die Angst vor der Zukunft, die nichts auf der Welt verdrängen oder ersticken konnte. So viele gegensätzliche Emotionen. Überschwängliche Freude und abgrundtiefe Qual …
„Larenia?“
Benommen sah sie zu Philipus auf, der sie inzwischen zum dritten Mal angesprochen hatte. Er zog die Augenbrauen hoch, als er ihren verstörten Gesichtsausdruck bemerkte.
„Bist du sicher, dass es dir gut geht?“, er musterte sie kritisch, aber Larenia wich seinem Blick aus. Die Antwort wurde ihr erspart, denn in diesem Augenblick gab es einen Aufruhr am anderen Ende des Saals. Aus der tanzenden Menge war eine wilde Prügelei geworden, wobei die Ursache nicht mehr erkennbar war. Julius versuchte, die Streitenden zu trennen, doch alles, was er herausbrachte, war ein unverständliches Nuscheln.
„Willst du denn nichts tun?“
Larenia erwiderte Philipes entrüsteten Blick aus großen, unschuldigen Augen: „Das ist nicht meine Sache. Denn eine Prügelei zwischen einem Haufen Betrunkener würde ich kaum als diplomatischen Zwischenfall bezeichnen.“
So endete das Fest: in einer Schlägerei mit einem Haufen blauer Flecke und noch mehr zerbrochenem Geschirr.
Der Morgen dämmerte bereits, als die Letzten den Palast verließen. Einige wurden von den Wachen mehr hinausgeschleift, als dass sie freiwillig gingen. Und es war weit nach Mittag, als sich die Ersten wieder auf der Straße zeigten. Die Stimmung in der Stadt war sonderbar. Alles wirkte verschlafen und ein letzter Hauch von Fröhlichkeit schwebte noch über den Dächern. Ein Tag wie nach der Sommersonnenwende, obwohl noch ein Monat bis zu diesem Fest vergehen würde.
Am späten Nachmittag trafen zwei Reiter im Hof des Palastes ein. Ungehindert, denn es war niemand da, um sie aufzuhalten, betraten sie das Schloss. Auch vor dem Thronsaal standen keine Wachen. Und so betrat Larenia, dicht gefolgt von François, die Halle.
Julien lief unruhig auf und ab. Beim Eintreten der beiden Elfen blickte er kurz auf, dann nahm er seine endlose Wanderung wieder auf. Julius saß im Schatten auf einem Stuhl. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und selbst im dämmrigen Zwielicht der Halle wirkte sein Gesicht blass und verquollen. Sonst war niemand anwesend.
Nach langem Schweigen, das nur von dem leisen Geräusch von Juliens Schritten unterbrochen wurde, blieb der König stehen.
„Was gibt es Neues?“
Larenia riss sich mühsam von Julius’ Anblick los und ihr spöttisches Lächeln verschwand sofort.
„Bevor ich Eure Frage beantworte, solltet Ihr noch einmal Eure Entscheidung überdenken. Vielleicht habt Ihr jetzt eine letzte Möglichkeit, den eingeschlagenen Weg zu verlassen.“
Julien schüttelte langsam den Kopf: „Nein, ich habe mich entschieden. Was immer in der Vergangenheit geschehen ist, ich werde mein Volk nicht der Willkür und Grausamkeit der Brochonier ausliefern.“
Larenia wollte antworten, doch François schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. Er war es auch, der antwortete: „Es wurde ein Schiff gesichtet“, Julius sprang auf und auch Julien riss erschrocken die Augen auf, aber François hob besänftigend die Hand, „wir sind uns sicher, dass es nur ein Botschafter ist –“
An dieser Stelle wurde er von Larenia unterbrochen: „Dennoch ist unsere Situation ernst. Wenn ihr sicher seid, werden wir morgen da sein und mit dem Botschafter sprechen.“
Julius trat näher und sah verwirrt von einem zum anderen:
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