Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Sanft legte sie ihre Hand auf seinen linken Arm, „wir müssen weiter. Alles, was wir noch für sie tun können, ist Hilfe zu holen.“
Er drehte sich zu Elaine um, die ihn in vielerlei Hinsicht stark an Larenia erinnerte. In seinem Blick widerspiegelten sich seine Ungewissheit, seine Zweifel, seine Schuldgefühle und die langsame Einsicht in die Realität.
„Sie hat recht.“
„Ich weiß, aber –“, Julius erstarrte mitten im Wort. Es war nicht Elaine, die gesprochen hatte. Logis’ Tochter starrte mit weit aufgerissenen Augen und fassungsloser Miene auf einen Punkt hinter ihm. Hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Angst blieb er einen Moment lang bewegungslos stehen. Dann drehte er sich langsam und vorsichtig um.
Hinter ihm stand, so unglaublich es ihm auch schien, Larenia. Allerdings sah sie ziemlich mitgenommen aus. Ihre Kleidung war zerrissen, staubig und an ihrem linken Unterarm blutgetränkt. Über ihre Hand lief Blut und tropfte zu Boden, aber sie schien es nicht einmal zu bemerken. Sie begegnete ihren verstörten Blicken mit einem verständnislosen Stirnrunzeln und auf Julius’ vorsichtige, dementsprechende Bemerkung reagierte sie nur mit einem Schulterzucken.
Julius erzählt:
Dieser Moment war für mich vielleicht nicht der glücklichste meines Lebens, aber sicherlich der, der für mich mit der größten Erleichterung verbunden war. Die ganze Nacht hatte ich darüber nachgedacht, was geschehen sollte, wenn Larenia nicht zurückkam. Genauso gut hätte ich versuchen können, mir eine Welt ohne Sonne vorzustellen. Es war unmöglich. Der Glaube an Larenias Macht hielt mein Volk zusammen und die Hoffnung im Herzen jedes Einzelnen am Leben. Ihre bloße Anwesenheit genügte, um uns neue Zuversicht zu schenken. Ohne sie wären wir verloren. Das war mir selten zuvor so klar geworden wie in dieser Nacht, in der mich Angst und Zweifel wach hielten, während das Schicksal meines Volkes im Dunklen lag. Mehr als einmal verfluchte ich mein unüberlegtes Handeln.
Wäre ich in diesem Augenblick nicht so schockiert gewesen, hätte ich laut und hysterisch angefangen zu lachen. Aber Larenia ließ uns keine Zeit, uns von unserem Schrecken zu erholen. Ruhig und befehlsgewohnt trieb sie uns zum Weiterreiten an. Jetzt, da uns nicht länger Entsetzen und Panik vorwärtsdrängten, kamen wir deutlich langsamer voran.
Einmal versuchte ich, eine Entschuldigung zu stottern. Daraufhin sah mich Larenia vollkommen gefühllos an: „Entschuldige dich nicht bei mir. Mein Leben war niemals in Gefahr. Du hast lediglich die Existenz deines Volkes riskiert.“
Ich verstummte. Larenia würde meine Handlungsweise niemals verstehen oder entschuldigen. Unter keinen Umständen hätte sie persönliche Interessen über die ihres Volkes gesetzt.
Dieses letzte Stück des Weges erschien mir unendlich lang. Wir alle waren zu müde und erschöpft, um noch auf den Weg zu achten. Seit vier Tagen waren wir unterwegs, ohne zu schlafen oder länger als unbedingt nötig zu rasten. Elaine hing inzwischen mehr im Sattel, als dass sie saß. Ihr fiel es sichtlich schwer, die Augen offen zu halten. Ich bot wahrscheinlich keinen besseren Anblick. Die Einzige, die noch halbwegs aufmerksam war, war Larenia, obwohl die letzten Tage auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen waren. Im trüben Tageslicht wirkte ihr Gesicht aschfahl und sie zitterte trotz der warmen Temperaturen. Es war ihre bloße Willensstärke, die sie wach hielt. So erreichten wir am späten Abend Magiara.
Philipe sprang auf beim leisen Klappern der Pferdehufe. Ebenso wie an den letzten drei Abenden hatte er auf der Freitreppe des Zauberturms gesessen und gewartet. Es wäre leicht für ihn gewesen, seine Gabe zu benutzen, um herauszufinden, was geschehen war. Aber er hatte Angst vor dem gehabt, was er sehen könnte. Jetzt blickte er in Elaines verquollenes Gesicht, er bemerkte die tiefen Schatten unter Julius’ Augen und Pierres Abwesenheit und wusste genug. Kommentarlos half er Elaine beim Absitzen und griff nach Larenias Arm, als er ihren taumeligen, unsicheren Gang sah. Mit einer knappen Geste bedeutete er Julius und Elaine, ihnen ins Innere des Zauberturms zu folgen.
Er führte sie in einen Raum ähnlich dem Thronsaal in Arida, wenn auch kleiner und mit klaren Formen anstelle der Ornamente und Verzierungen. Die anderen Gildemitglieder waren hier versammelt. Sie alle sahen auf, als sie den Raum betraten, und Felicius verdrehte demonstrativ die Augen bei
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