Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
ihn niemand mehr ohne Schwert und Dolch gesehen. Larenia hatte ihn stets davor gewarnt, sich zu sehr auf Waffengewalt und Körperkraft zu verlassen. Doch er hatte über ihre entsprechenden Bemerkungen gelacht. Gerade Larenia, die nie die volle Kontrolle über ihre Magie hatte, erschien ihm als das beste Gegenbeispiel. Jetzt versuchte er, die erbärmlichen Reste seines Wissens über telepathische Verbindungen und Heilung zusammenzukratzen.
Ein leises Rascheln hinter ihm riss ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken sprang er auf, etwas, das er sofort wieder bereute, da ihm schwindelig wurde, und drehte sich um. Hinter ihm stand, einer Lichtgestalt gleich –
„Larenia! Was tust du denn hier?“
„Ich bin nicht wirklich hier“, jetzt bemerkte Pierre, dass er durch ihre geisterhafte Erscheinung hindurch die Mauer sehen konnte. Auch war er sich nicht sicher, dass sie tatsächlich laut sprach, „es ist nur eine Projektion. Aber so ist es einfacher für mich, mit dir zu sprechen.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich noch einmal sehe.“
Pierre setzte sich wieder und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Lange Zeit sah er sie einfach nur an. Selten zuvor war er über den Anblick der Gildeherrin so froh gewesen.
„Hör auf, mich anzustarren. Ich habe wahrscheinlich nicht viel Zeit, um mit dir zu sprechen“, einen Moment lang schien sie zu lauschen, dann richtete sie den Blick ihrer durchdringenden blauen Augen wieder auf ihn, „noch haben sie mich nicht bemerkt. Sag mir eins: Warum hast du sie nicht aufgehalten?“
Pierre musste nicht fragen, was sie meinte.
„Das hätte nicht funktioniert. Julius und Elaine waren wild entschlossen. Darum erschien es mir als das Beste, sie zu begleiten und den Schaden zu begrenzen.“
„Und in Arida hast du dich fast zu Tode gelangweilt, ich weiß“, kopfschüttelnd sah sie auf ihn herab, „ich wünschte nur, du würdest einmal mit mir sprechen, bevor du handelst. Jetzt lässt es sich nicht mehr ungeschehen machen“, sie setzte sich ihm gegenüber auf den Boden, „was ich nicht verstehe, ist, warum die Brochonier schon vor euch in Komar waren.“
„Da gibt es nichts zu verstehen“, mit zornig flammenden Augen sah er sie an. Es fiel ihm inzwischen schwer, leise zu sprechen, „wir wurden verraten!“
„Bist du dir sicher?“
„Ist es nicht sonderbar, dass die Brochonier jeden unserer Schwachpunkte kennen: Dalane, Navalia, Komar? Bei einem Mal hätte ich es Zufall genannt, aber so? Wir wurden verraten.“
Pierre erkannte, dass er Larenia nichts Neues erzählte. Er bestätigte nur, was sie seit Langem vermutete.
„Aber wer, wer sollte uns verraten?“
Pierre zuckte mit den Schultern: „Einer der Anorianer? Aber das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Doch die Kandari hätten noch weniger Grund dazu“, Larenia verstummte und versank in ihren eigenen Gedanken. Pierre ließ enttäuscht den Kopf sinken. Obwohl er die Wichtigkeit dieser Angelegenheit begriff, hatte er gehofft, sie wäre hier, um ihm zu helfen. Schließlich, als sich das Schweigen in die Länge zog, sprach er seine Hoffnung aus: „Larenia, was soll nun aus mir werden?“
Sie sah auf und echtes Bedauern widerspiegelte sich in ihrem Blick: „Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen. Doch verzweifle nicht. Es gibt eine Untergrundorganisation in Laprak. Sie werden dich befreien, wenn sie von deiner Gefangennahme hören“, sie lächelte. Es war ein sehr warmes, sanftes Lächeln, das ihn für einen Augenblick seine Umgebung vergessen ließ, „vertraust du mir, Pierre?“
„Ich habe dir immer vertraut.“
„Dann gib die Hoffnung nicht auf“, ihre Gestalt flackerte und schien zu verblassen. Sie sah sich kurz um, bevor sie sich wieder auf Pierre konzentrierte: „Ich kann den Kontakt nicht mehr lange aufrechterhalten und wahrscheinlich kann ich nicht noch einmal mit dir sprechen. Ihre Druiden würden es bemerken.“
Sie schloss die Augen und für einen Moment schien ihre Erscheinung an Substanz zu gewinnen. Für die Dauer eines Herzschlags fühlte er die Berührung ihrer Gedanken. Erstaunt stellte er fest, dass seine Kopfschmerzen verschwunden waren.
„Mehr kann ich nicht für dich tun.“
Ihre Gestalt verblasste und verschwand schließlich ganz. Dann war Pierre wieder allein in der Dunkelheit.
Es vergingen fünf weitere Tage, Tage, in denen Julien jeden einzelnen seiner Untertanen, der in den Thronsaal trat, scharf von Kopf bis Fuß musterte. Larenia hatte mit dem König
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