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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tracy Schoch
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vierundzwanzigsten Tages des Monats nach Arida zurück. Vor neun Tagen hatte mein Vater mich mit einer, wie er sagte, dringenden Botschaft nach Askana geschickt. Und niemand, weder mein Vater noch meine Verwandten in Askana, hatte es für nötig gehalten, mir zu sagen, dass meine eigene Mutter des Verrats beschuldigt und für dieses Verbrechen zu lebenslanger Gefangenschaft verurteilt worden war.
    Ich erinnere mich nicht mehr, wer es mir schließlich erzählte. Ich hörte nicht mehr, als dass Patricia uns verraten hatte, und ich konnte es nicht glauben. Es durfte einfach nicht wahr sein. Wie konnte meine Mutter, die Königin von Anoria, uns verraten haben? Ohne weiter zuzuhören, rannte ich davon, ich wusste nicht, wohin. Blind lief ich durch die Straßen von Arida und versuchte zu verstehen, was geschehen war. Allein die Tatsache, dass uns jemand verraten hatte, war für mich schwer zu akzeptieren. Wer hasste meinen Vater und unser Land, verabscheute die Kandari so sehr, dass er sich einen Sieg der Brochonier wünschte? Aber Patricia? Das war unmöglich. Sie hatte sich um die Alten und Kranken gekümmert, um alle, die durch den Krieg ihren Besitz verloren hatten. Warum sollte sie all das wegwerfen wollen? So oft hatte sie zu mir gesagt, dass sie mich liebt und dass sie schon allein wegen mir in Arida bleiben würde. War das alles nur eine Lüge gewesen? Hatte sie damals schon ihren Verrat geplant? Meine Mutter war immer für mich da gewesen, wenn meine Lehrer mit mir unzufrieden waren oder ich mich ungerecht behandelt fühlte. Sie hatte mir zugehört, obwohl sie auch manchmal barsch und kalt war. Jetzt fragte ich mich, ob sie in mir jemals mehr als ein Werkzeug gesehen hatte.
    Und immer wieder dachte ich, dass es nicht wahr sein konnte. Es war ein Fehler, nichts weiter als ein Irrtum. Das erschien mir als die einzig mögliche Erklärung. Vielleicht waren die Angriffe auf Dalane, Navalia und Komar doch nicht mehr als ein Zufall gewesen. Außerdem hatten wir als Beweis nur Larenias Wort. Meine Mutter war noch nie besonders gut mit der Gildeherrin ausgekommen. Vielleicht versuchte die Gilde, auf diesem Weg einen Kontrahenten zu beseitigen. Heute erscheint mir diese Überlegung absurd. Larenia mochte einen Teil der Wahrheit verschweigen, um ihr Ziel zu erreichen, aber sie log nicht. Damals hätte ich mich jedoch mit Freude an jede Erklärung geklammert, die Patricia entlastete. Aber dann erinnerte ich mich an die Worte, die ich vorher nicht bewusst wahrgenommen hatte: Meine Mutter hatte ihren Verrat selbst zugegeben.
    Schwer atmend blieb ich stehen und lehnte mich an eine Hauswand. Es hatte angefangen zu regnen und ich war bereits durchnässt bis auf die Haut. Ich erinnere mich noch immer an diesen Nachmittag. Es war ein düsterer, grauer Tag, verhangen und traurig. Tiefe Stille lag über der Stadt, selbst das beständige Rauschen der Wellen klang gedämpft. Lange Zeit hockte ich an dieser Hauswand und sah zu, wie der Regen lautlos niederfiel. Wie wundervoll und leicht war mir das Leben noch vor wenigen Monaten erschienen. Was war jetzt noch übrig? Die Ruinen meines Königreiches, die zerrütteten Überreste meiner Familie und ein Volk ohne Hoffnung.
    Erst bei Anbruch der Dunkelheit stand ich auf. Es gab noch etwas, das ich tun musste. Ich musste mit meiner Mutter sprechen, die im Gefängnis innerhalb der Palastmauer eingesperrt war. Ich musste den Grund für ihren Verrat erfahren.
     
    Im roten Fackellicht wirkte der Kerker von Arida noch düsterer und trostloser. Außer Patricia gab es hier keine Gefangenen. Man hatte alle zu Beginn des Krieges freigelassen und zum Wehrdienst verpflichtet. Jetzt stieg Julius mit schweren, schleppenden Schritten die Treppe hinunter. Mit einer Handbewegung bedeutete er den Wachen, ihn allein zu lassen. Dann trat er auf die einzige belegte Zelle zu.
    Es war ein kleiner, kärglich möblierter Raum, dessen eine Wand nur aus Gitterstäben bestand. Wenig Ähnlichkeit hatte diese erbärmliche Unterkunft mit den luxuriösen Räumen, die Patricia im Schloss bewohnt hatte. Auf einem kleinen Holztisch stand eine einzige, fast niedergebrannte Kerze, deren flackerndes Licht kaum ausreichte, um die Zelle zu erhellen. Patricia kauerte auf dem schmalen Bett, doch als Julius eintrat, stand sie auf und trat an das Gitter. Sie streckte ihrem Sohn die Arme entgegen und nach kurzem Zögern kam Julius näher und legte seine Handfläche gegen die ihre.
    Es brach ihm fast das Herz, seine Mutter so zu sehen.

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