Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Pierre. Lange konnte er nicht mehr durchhalten.
„Versucht es noch einmal!“, ließ sich ein zweiter Brochonier, wahrscheinlich einer der Wächter, vernehmen, „Baruk wird langsam ungeduldig. Er braucht diese Informationen.“
„Bitte, versuch du es, wenn du alles besser weißt. So hat es zumindest keinen Sinn, noch nicht jedenfalls“, die Stimme des ersten Sprechers klang jetzt gedämpft. Wahrscheinlich war er neben den Soldaten getreten.
„Wie wäre es, wenn wir ihm ein paar Knochen brechen würden. Das funktioniert immer“, innerlich verdrehte Pierre bei diesem Vorschlag die Augen. Tatsächlich hatten sie das versucht, aber dank seiner, wenn auch weniger starken, Heilfähigkeit hatte ihn das wenig beeindruckt. Anders war es mit diesen ständigen Manipulationen. Inzwischen konnte Pierre kaum noch unterscheiden, was der Wahrheit entsprach und was nur eine Illusion war.
„Dummkopf! Wenn das funktioniert hätte, wären wir jetzt nicht hier. Warum habt ihr mir niemanden anders mitgebracht, die Gildeherrin zum Beispiel? Mein Orden interessiert sich sehr für ihre Fähigkeiten.“
„Dann fragt ihn doch!“, der Soldat klang inzwischen ausgesprochen missvergnügt. Das ständige Genörgel des Druiden ging ihm allmählich auf die Nerven. Der Mann im roten Mantel warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Dann überlegte er es sich anders. Er trat auf Pierre zu und zog ihn am Mantelkragen auf die Füße.
„Was weißt du über Larenia von Hamada? Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche!“
„Nein danke“, Pierre brachte nur ein raues Krächzen hervor, „ich ziehe es vor, nichts zu sehen.“
„Sieh mich an!“, donnerte der Druide.
Mühsam hob Pierre den Blick: „Was willst du über Larenia wissen? Ihr Geburtsdatum? Tut mir leid, habe ich vergessen.“
Einen Augenblick starrte ihn der Druide zornig an. Dann ließ er ihn los und drehte sich um.
„Dreckiges Elfenpack“, bemerkte er abfällig. Pierres triumphierendes Lächeln, bevor er wieder zusammensackte, sah er nicht.
Die Brochonier verließen sein winziges Gefängnis, aber kurz bevor sie die Tür schlossen und Pierre wieder in seinen Dämmerzustand versank, entdeckte er einen dritten Mann, der im Hintergrund gestanden hatte. Es war ein großer, blonder Brochonier mit blauen Augen, der ihn forschend musterte.
„Du hast ihn gesehen?“
„Sprich nicht so laut“, Norvan war von seinem Ausflug nach Andra’graco zurückgekehrt. Jetzt saß er im Zimmer seiner Schwester, um mit ihr über ihr weiteres Vorgehen nachzudenken. Bei Rowenas Worten zuckte er zusammen. Hier, in Laprak, gab es so etwas wie Privatsphäre nicht. Sobald etwas auch nur gedacht wurde, war es schon bekannt. Jetzt sah sich Norvan gründlich im Zimmer um und ging sogar zur Tür, um den Gang entlangzuspähen, bevor er ihre Frage beantwortete: „Ja, ich habe ihn gesehen. Es ist so, wie Brochius sagte: einer der Kandari. Auch wenn ich mich frage, wie sie ihn gefangen nehmen konnten.“
„Das ist doch egal. Wir müssen ihn befreien“, das Zögern ihres Bruders war Rowena oft unverständlich. Ihrer Meinung nach hatten sie schon zu viel Zeit mit Nichtstun verschwendet. Aber gleichzeitig war ihr bewusst, dass Norvans Vorsicht sie schon oft vor einer Entdeckung bewahrt hatte. Wenn die Druiden oder Baruk, ihr Onkel, herausfanden, was sie taten, war ihrer beider Leben verwirkt.
„Warum sollten wir ihn befreien? Ein paar Flüchtlinge retten ist eine Sache, aber einen Gefangenen aus Andra’graco zu befreien ist etwas ganz anderes.“
„Trotzdem“, ungeduldig war Rowena aufgesprungen, „er könnte uns helfen. Außerdem wäre seine Flucht ein harter Schlag für die Druiden.“
Seufzend stand auch Norvan auf: „Du stellst dir das zu einfach vor“, er trat ans Fenster und blickte auf die Stadt hinunter. Es war sehr spät und von Butrok, der Hauptstadt Lapraks, waren nur ein paar dunkle Umrisse zu erkennen, „Sie bewachen ihn von früh bis spät, schärfer als die härtesten Gegner und Kritiker des Systems. Hinzu kommt, dass Andra’graco eine Insel ist. Selbst wenn du ihn befreien könntest, kämest du kaum zurück auf das Festland. Außerdem: Ich habe ihn gesehen. Er bräuchte erst einmal einen Heiler oder Arzt und dreißig Tage Ruhe und Pflege, um überhaupt in der Lage zu sein, einen Fluchtversuch zu unternehmen.“
„Umso mehr müssen wir ihm helfen“, erstaunt blickte Norvan in das aufgewühlte Gesicht seiner Schwester. Ihr ging es bei diesem Unternehmen um mehr als um die
Weitere Kostenlose Bücher