Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
näher. Er regte sich nicht, woraufhin sie einen Augenblick lang dachte, er sei tot, dass der Druck der jüngsten Ereignisse zu groß für ihn geworden war und er einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erlitten hatte. »Roderick«, wiederholte sie und konnte kaum noch atmen, »Roderick, geht es dir gut?«
    Einen Moment später nickte er kaum merklich. Jane spürte, dass ihr Körper sich vor Furcht verkrampft hatte, und sie stieß erleichtert den Atem aus. Sie schaltete eine zweite Lampe ein. Der Raum wurde in das blasse Kirschrot des Lampenschirms getaucht.
    Â»Warum sitzt du hier so allein?«, erkundigte sie sich. »Du hast mir einen Schreck eingejagt.«
    Â»Tut mir leid.« Er sah zu ihr hoch. Sie war froh, dass das Licht im Raum gedämpft war, denn so konnte er sich bei ihrem Anblick an die schöne junge Frau erinnern, die er geheiratet hatte und seit nahezu dreißig Jahren liebte, und nicht die verängstigte, bleiche und verhärmte Person erkennen, zu der sie in den vergangenen Monaten geworden war. »Ich konnte da nicht mehr sein.«
    Â»Als du nach der Pause nicht zurückgekommen bist, dachte ich, du hättest dich vielleicht verspätet und hinten in den Gerichtssaal gesetzt.«
    Â»Nein. Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ich konnte mir keine Sekunde länger anhören, wie sie über ihn sprechen.« Er krümmte sich. Jane war noch zwei Schritte von ihm entfernt, doch sie sah, dass er lautlos weinte. Sie ging zu ihm, kniete sich neben ihn und nahm seine Hand.
    Â»Oh, Roderick, bitte nicht«, flehte sie. »Bitte nicht weinen. Nicht jetzt. Wenn du nicht stark bleibst, stehe ich es nicht durch.«
    Er holte tief Luft. »Und«, fragte er wenig später, »habe ich etwas verpasst? Ist es noch schlimmer geworden?«
    Â»Eigentlich nicht. Es gab nichts von Bedeutung. Nur Maud Williams wurde in den Zeugenstand gerufen.«
    Â»Wer?«
    Â»Maud Williams. Die Frau, die an jenem Morgen die Polizei verständigt hat. Sie wohnt zwei Etagen über Owen Montignac. Auf dem Weg zur Arbeit sah sie, dass die Tür zu seiner Wohnung angelehnt war, und warf einen Blick hinein.«
    Â»Eine neugierige Person«, bemerkte Roderick. Über solche Menschen konnte er inzwischen ein Lied singen.
    Â»Nein, eher eine liebe ältere Dame. Immer noch reichlich traumatisiert von – von dem, was sie entdeckt hatte.«
    Â»Hat sie alles noch schlimmer gemacht?«
    Â»Nicht unbedingt. Sie hat lediglich das erzählt, was sie gesehen hatte, und das war ja schon bekannt. Quentin wollte sie herabsetzen und wies darauf hin, dass sie unbefugt eine Wohnung betreten habe, aber nach ein paar Minuten gab er auf. Wahrscheinlich hatte er begriffen, dass die Geschworenen sie mochten und es schädlich gewesen wäre, sie weiter zu bedrängen.«
    Jane lehnte ihren Kopf an Rodericks Schenkel. Seine Hand wanderte zu ihrem Haar, über das er zärtlich und liebevoll strich. Jane dachte an ihren grässlichen Tag und war für seine Geste und den Moment der Ruhe so dankbar, als hätte man ihr endlose Ferientage in der Sonne geschenkt. Sie hatte die negativen Aussagen von Gareths Schulfreunden ertragen müssen und anschließend das verheerende Gespräch mit Sir Quentin, sodass sie es richtig fand, am Nachmittag eine tröstende Hand zu spüren.
    Â»War irgendetwas in der Kanzlei?«, fragte sie. »Irgendetwas, das dich zusätzlich davon abgehalten hat, am Nachmittag wieder in den Gerichtssaal zu kommen?«
    Â»Nein, ich konnte es nur nicht mehr ertragen«, antwortete Roderick, dem es widerstrebte, ihr die Einzelheiten seines Gesprächs mit Lord Keaton mitzuteilen. »Allerdings hatte ich dort tatsächlich eine unangenehme Begegnung.«
    Â»Mit wem?«
    Â»Nicht wichtig. Aber es hat mich noch beschäftigt, als ich wieder vor dem Old Bailey stand. Es war alles zu viel, also bin ich nach Hause gefahren. Seitdem habe ich hier gesessen.«
    Jane hatte am Nachmittag überlegt, ob sie ihm von ihrem Gespräch mit Sir Quentin erzählen sollte, einschließlich der Vorschläge, die sie gemacht hatte, doch dann hatte sie den Gedanken verworfen. Sie kannte ihren Mann gut genug, um zu wissen, wie entsetzt er wäre, wenn er wüsste, dass sie vorgehabt hatte, einige der Geschworenen zu bestechen. Als der Verhandlungstag zu Ende war, hatte sie Sir Quentin beim Verlassen des Gerichtssaals abgepasst und angefleht, Roderick

Weitere Kostenlose Bücher