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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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vernommen. Beim Verfassen des Briefs hatte er sich um den richtigen Tonfall bemüht, eine Mischung aus lockerem Humor, der das Triviale dieser Angelegenheit für einen Montignac implizierte, und ehrlichem Ansinnen, das Delfy klarmachen sollte, die Schulden würden in Kürze beglichen. Genau genommen schon in den nächsten Tagen.
    Â»Als ich klein war, mochte er Hymnen und interessierte sich auch für den Garten«, betonte Stella. »Aber wahrscheinlich hast du recht. Zu seinen Leidenschaften gehörte weder das eine noch das andere.«
    Â»Vielleicht kannte ich ihn damals noch nicht«, sagte Montignac.
    Â»Vielleicht«, räumte Stella ein. »Owen, es geht dir doch gut, oder? Es hat dich doch nicht zu sehr mitgenommen?«
    Mit einem Seufzer legte er seinen Füllfederhalter ab, steckte den Brief in die oberste Schreibtischschublade und schloss sie ab. Den Schlüssel verstaute er in seiner Westentasche. Dann wandte er sich zu seiner Cousine um, erfasste die Trauer unter der Strenge ihres Aussehens und verspürte ein Gefühl, das der Zuneigung verdächtig nahe kam. Er verjagte es umgehend, ganz gleich, was es gewesen war.
    Â»Wahrscheinlich sind alle noch unten«, sagte er.
    Â»Noch einige. Wir sollten hinuntergehen. Dass wir zu zweit hier oben sitzen, gehört sich nicht.«
    Â»Geh du.«
    Â»Sie werden auch dich erwarten. Aber wenn es dich zu sehr angreift, dann –«
    Â»Stella, könntest du bitte aufhören, die Märtyrerin zu spielen«, fiel Montignac gereizt ein und fuhr mit der Hand über seine Augen. »Er war dein Vater, nicht meiner. Wenn jemand das Recht hat, erschüttert zu sein, bist du es ja wohl, nicht ich. Und ich habe ganz sicher genügend innere Kraft, um mich mit ein paar neugierigen Hausgästen abzugeben, ohne gleich in Tränen auszubrechen.«
    Â»Er war ebenso dein Vater wie meiner, und das weißt du auch.«
    Â»Er war mein Onkel.«
    Â»Aber er hat dich als Sohn betrachtet. Leugne es nicht. Nicht heute.«
    Montignac nickte und schwieg für einen Moment. »Ich weiß«, murmelte er. »Ich weiß, als was er mich betrachtet hat.«
    Â»Deshalb ist es unser beider Angelegenheit, und wir gehen jetzt beide nach unten«, beharrte Stella. »In einer Zeit wie dieser sollten wir uns ohnehin beistehen. Dazu sind Familien schließlich da. Weißt du, dass einige der Männer unten Billard spielen?«, fügte sie noch hinzu.
    Â»Billard?«
    Â»Ja. Oder zumindest hat Margaret das behauptet. Sie findet es nicht richtig.«
    Â»Ist es auch nicht.« Montignac überlegte, welche Anstandsregeln in solch einem Fall galten. »Ich gehe nach unten und sage ihnen Bescheid.«
    Â»Aber du machst keine Szene.«
    Â»Nein. Wohl eher nicht.«
    Â»Und noch etwas«, sagte sie. »Vorhin hat Denis Tandy mich angesprochen. Es geht um das Testament. Er möchte es so bald wie möglich eröffnen.«
    Â»Das ist nicht dein Ernst«, entgegnete Montignac und konnte nicht fassen, dass Tandy so wenig Feingefühl an den Tag legte. »Damit ist er heute zu dir gekommen? Warum hat er denn mit mir nicht darüber gesprochen?«
    Â»Er hat dich gesucht, aber –«
    Â»Dann hat er aber nicht sehr lange gesucht. Abgesehen davon hätte er warten können, ehe er dich damit behelligt. Es ist ja auch nicht so, als stünden uns in dem Punkt große Überraschungen bevor. Du machst dir deshalb doch keine Gedanken, oder?«
    Â»Nein.« Stella schüttelte den Kopf. »Ich musste mir tausend Mal sagen lassen, dass ich als Frau für das Erbe nicht infrage komme. Ich weiß, wie abwegig es ist, weiblich zu sein. Die Montignacs hinterlassen ihr Erbe nur den Männern der Familie«, intonierte sie verächtlich und wandte den Blick von ihrem Cousin ab. »Sehr modern finde ich das nicht.«
    Â»Du hast keinen Grund, dir Sorgen zu machen.« Montignac trat auf sie zu und nahm ihre Hand. »Bitte, glaub nicht eine Sekunde lang, ich ließe etwas zu, das dir Unannehmlichkeiten bereitet. Was mir gehört –« Er verstummte, denn zu sagen, das, was ihm gehöre, gehöre auch ihr, würde doch etwas zu weit gehen. Stella hatte verstanden und ließ den Halbsatz unvollendet zwischen ihnen stehen.
    Sie schaute auf ihrer beider Hände, nahm wahr, dass er seine Finger perfekt mit ihren verflochten hatte, und genoss die Berührung. Es war das erste Mal seit vielen

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