Das Vermächtnis der Montignacs
Jahren, dass er ihre Hand auf die Weise hielt. Sie hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich. Einen Moment lang hielt er ihren Blick fest, dann gab er ihre Hand frei und wandte sich ab.
»Ich habe Tandy gesagt, morgen früh wäre es uns recht«, erklärte sie seinem Rücken. »So gegen elf Uhr wird er hier erscheinen. Das Ganze wird vermutlich nicht sehr lange dauern.«
»Fein«, sagte Montignac, der mit den Gedanken woanders war und sich in bitteren Erinnerungen verloren hatte. »Ich gehe jetzt besser nach unten.«
Stella stand auf. Sie gingen zur Tür. »Ich habe sowieso nie verstanden, warum es Trauerfeiern geben muss«, sagte Stella. »Bei einer Beerdigung sind doch schon alle bedrückt. Warum muss man solche Gefühle ausdehnen und Leute einladen und dann so etwas Ãhnliches wie eine Party veranstalten?«
»Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns die Mühe nicht gemacht«, entgegnete Montignac. »Aber es gehört sich wohl so. Und die Leute sind von allein gekommen. Wir haben niemandem eine offizielle Einladung geschickt.«
»Nein.«
»Wir könnten morgen Mittag zusammen essen«, schlug er vor. »Nur wir beide. Ich meine, nach der Eröffnung des Testaments. Da können wir alles Weitere besprechen. Was das Haus betrifft und so.«
»Gut.« Stella nickte. »Ich glaube, einige der Angestellten machen sich Sorgen. Margaret hat gehört, dass Annie befürchtet, sie könnte ihre Stelle verlieren.«
»Wenn ich das Sagen gehabt hätte, hätte sie die schon vor Jahren verloren. Sie trinkt mehr als sonst jemand im Haus und raucht wie ein Schlot. Aber darüber können wir morgen sprechen, im Moment ist es nicht wichtig. Lass uns nach unten gehen und zusehen, dass wir die Schweinebande loswerden. Die verschwinden sonst nie.«
Stella sah ihn verdutzt an. Solche Ausdrücke benutzte er so gut wie nie, sondern legte vielmehr Wert auf sprachliche Eleganz und das Benehmen eines Gentlemans. In diesem Moment kam ihr der Lapsus erst recht unpassend vor, jetzt, da sie einander wieder näher gekommen waren und miteinander sprachen wie zu der Zeit, als sie Teenager waren. Das Wort, das er benutzt hatte, besaà einen gewalttätigen Beigeschmack, einen Zorn, der sie an Dinge erinnerte, die sie lieber vergessen wollte.
Sie beobachtete, wie er sein Aussehen in dem hohen Standspiegel überprüfte und sein Jackett glatt zog. Ihr fiel wieder ein, wie er im Alter von fünf Jahren zu ihnen gebracht worden war. Für sein Alter war er klein gewesen, ein wenig schmuddelig hatte er gewirkt, Sommersprossen und vorstehende Zähne gehabt und mit französischem Akzent gesprochen. Und dann war da natürlich noch das Haar gewesen, dieser auffällige schneeweiÃe Schopf, sodass ihr der Mund beim ersten Anblick offen geblieben war. Und dann die blauen Augen, der Blick, der sie damals zu durchdringen schien. Und jetzt stand er hier, zwanzig Jahre später, designiert, den Besitz der Montignacs zu übernehmen. Inzwischen maà er einen Meter achtzig, und das vormals blasse Gesicht hatte dank Sport und gesunder Ernährung einen Hauch Farbe bekommen. Mittlerweile sah er gut aus, so unansehnlich er früher auch gewesen war. In den letzten beiden Jahrzehnten hatte er sich auf derart vielfältige Weise verändert, dass sie es im Einzelnen gar nicht mehr nachvollziehen konnte. Doch seinerzeit hatte sie ihn willkommen geheiÃen, sie und Andrew hatten es getan. Nie hatten sie ihm das Gefühl gegeben, ein AuÃenseiter zu sein, obwohl Owen alles daran gesetzt hatte, sich immer wieder in diese Position zu begeben.
»Was ich dir noch sagen wollte«, begann sie oben auf dem Treppenabsatz. Er blieb stehen und sah sie abwartend an. »Ich war heute sehr stolz auf dich. Ich glaube, ohne dich hätte ich es nicht durchgestanden. Denn mit einem Mal hat Andrew mir ganz furchtbar gefehlt â das Ganze hat schreckliche Erinnerungen wachgerufen. Aber dich an meiner Seite zu haben, das war so etwas wie ein Trost.«
Montignac sann über diese Worte nach. Seine Zungenspitze drückte einen Mundwinkel nach auÃen. Zu guter Letzt quittierte er das Kompliment mit einem knappen Nicken, lief die Treppe hinunter und lieà sie allein oben stehen.
8
Jane Bentley steuerte die Galerie des Gerichtssaals Nummer 1 an, wo sie ihre Freundin Eleanor Tandy in der ersten Reihe entdeckte und sich auf dem freien Platz an
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