Das Vermächtnis der Montignacs
Miene.
»Nur sehr entfernt«, räumte Domson ein. »Ich glaube, zurzeit bin ich auf Rang siebenundzwanzig. Aber vor einigen Jahren hatte ich es auf Platz achtzehn geschafft. Ehe sie angefangen haben, sich zu vermehren«, fügte er abfällig hinzu.
McAlpine lächelte. Er war es gewohnt, dass Gefangene sich mit den haarsträubendsten Geschichten vor dem Untergang retten wollten. In der Regel betrachtete er dergleichen als Hirngespinste, doch etwas so Ausgefallenes wie eben hatte er schon seit Langem nicht mehr vernommen.
»Ich werde dem nachgehen«, sagte er. »Morgen früh sehen wir uns wieder und können uns weiter unterhalten.«
Später an jenem Tag hatte McAlpine einen seiner Referendare mit den Nachforschungen über die Abstammung des jungen Domson beauftragt und daraufhin zu seiner Verwunderung erfahren, dass dessen Geschichte tatsächlich zutraf.
»Das wirft ein gänzlich neues Licht auf den Fall«, erklärte er seinem Mandanten am folgenden Morgen. »Jetzt scheint mir, dass wir die Todesstrafe doch noch umgehen könnten.«
»Das dachte ich mir«, antwortete Domson kühl.
»Trotzdem müssen Sie Reue zeigen und um Gnade bitten«, fuhr der Anwalt fort. »Das ist Ihnen doch klar, oder?«
»Ich werde mich nicht schuldig bekennen«, entgegnete Domson.
»Wie bitte?«
»Ich sagte, dass ich mich nicht schuldig bekenne«, erwiderte Domson so unbekümmert, als ginge es darum, Suppe oder Melone als Vorspeise zu wählen. »Sollte ich das tun, würde ich zwangsläufig verurteilt. Mein Fall würde nicht einmal mehr angehört.«
»Hm«, meinte McAlpine, »richtig.«
»Deshalb werde ich auf nicht schuldig plädieren«, erklärte Domson.
»Wenn Sie das tun, junger Mann, wird die Chance, dass der Richter bei Ihrem Urteil gnädig verfährt, sich um ein Zehnfaches verringern.«
»Falls ich verurteilt werde. Was aber nicht geschehen wird. Ich bin ein ehemaliger Eton-Zögling, Mr McAlpine. In der englischen Thronfolge stehe ich an siebenundzwanzigster Stelle, und der König und ich sind Cousins zweiten Grades. Glauben Sie wirklich, eine Handvoll Fischhändler, Lehrer und Schuster könnte sich dazu durchringen, mich an den Galgen zu bringen? Für den Plebs und das andere Kroppzeug reicht doch das Mythische meiner Verwandten schon aus, um mich laufen zu lassen. Geben Sie ihnen einfach genügend Gründe, um sie hinsichtlich einer Verurteilung zu verunsichern, und ich garantiere Ihnen, dass sie sich an jeden Strohhalm klammern werden.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, entgegnete McAlpine, der in seinen fast dreiÃig Jahren als Anwalt noch keinen Mandanten erlebt hatte, der so offenkundig schuldig war und dennoch davon ausging, die Geschworenen vom Gegenteil überzeugen zu können.
»Verlassen Sie sich auf mich«, sagte Domson. »Abgesehen davon ist es meine Anweisung.«
Und so kam es, dass Henry Domson, dem ein Kapitalverbrechen zur Last gelegt wurde, auf nicht schuldig plädierte. Doch in den vergangenen sechs Monaten hatten sich die Beweise gegen ihn gehäuft. Dann war König George V. gestorben. Ihm folgte Edward VIII., woraufhin Domson in der Thronfolge zwar auf den sechsundzwanzigsten Platz gelangte, gleichzeitig aber von einem königlichen Cousin zweiten Grades auf den eines dritten Grades zurückfiel. Immer wieder versuchte McAlpine, seinen Mandanten zu überreden, sich schuldig zu bekennen, doch Domson weigerte sich und vertrat weiterhin die Ansicht, dass er seinen Hals, dank seiner gesellschaftlichen Stellung, letzten Endes retten würde.
Doch dann hatte sich am vergangenen Donnerstag der Sprecher der Geschworenen von der Bank erhoben und verkündet, nach einer Beratung von nur dreiundzwanzig Minuten seien sie zu dem einstimmigen Ergebnis gekommen, dass Henry Domson im Sinne der Anklage schuldig war.
Als McAlpine an dem Abend nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau: »Da ist dem Mistkerl das Grinsen vergangen.«
In den Tagen zwischen dem Schuldspruch und der anstehenden Urteilsverkündung an diesem Morgen hatte McAlpine mit seinem Mandanten nur noch ein einziges Mal gesprochen. Dabei hatte er festgestellt, dass Domson zwar einiges an Selbstsicherheit eingebüÃt hatte, aber immer noch so überheblich war, zu glauben, der Richter würde das denkbar mildeste Urteil fällen.
»Scheint mir ein anständiger
Weitere Kostenlose Bücher