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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Erkerfenster von Peter Montignacs Zimmer. Es war geschlossen, und die Vorhänge waren seit dessen Tod zugezogen.
    Er wandte sich ab, schaute auf seine Uhr und fragte sich, aus welchem Grund Stella ihn an diesem Tag fortwährend gemieden hatte. Er hatte gehofft, ihr ein Trost zu sein, ihr zur Seite zu stehen, doch sie hatte die meiste Zeit mit Owen verbracht, den Raymond nur flüchtig kannte. Stella und er waren jetzt seit über einem Jahr zusammen, und er war bereit, den nächsten Schritt zu tun und sie zu heiraten. Doch wenn das Thema aufkam, wehrte sie ab und sagte, sie würden ein andermal darüber reden. Zwar hatten sie ihre Verlobung bekannt gegeben, doch für Stella schien sie kaum Bedeutung zu haben. Auch ein gewisses Maß an Intimität war vorhanden, aber in einem Augenblick der Schwäche hatte sie gestanden, dass sie einmal verletzt worden war, und er ihr verzeihen müsse, wenn es so aussah, als ließe sie keine Nähe zu.
    Vor einer Weile hatte Raymond sich vorgenommen, Stella zum Dinner auszuführen, ihr einen offiziellen Antrag zu machen und mit ihr den Tag ihrer Hochzeit festzulegen. In diesem Sinne war er vor einer Woche zu Peter Montignac gegangen und hatte um dessen Einwilligung gebeten, die er widerstrebend erhalten hatte. Doch angesichts der Ereignisse kam ein solcher Antrag zurzeit nicht infrage. Raymond sann über die Anstandsregeln in einem derartigen Fall nach. Wie lange musste man nach dem Tod eines Elternteils der Auserwählten warten, ehe man um ihre Hand anhalten konnte?
    Er war schon im Begriff, ins Haus zu gehen, als er noch einmal zu dem Schlafzimmer hochschaute und feststellte, dass sich die Vorhänge bewegten. Und dann wurden sie plötzlich aufgezogen, und das Fenster wurde von einer schattenhaften Gestalt geöffnet. Raymond schauderte, denn er hatte das sichere Gefühl, beobachtet worden zu sein.
    Die Gäste waren gegangen. Montignac hatte Alexanders Angebot, die Nacht über zu bleiben, ausgeschlagen. »Es ist besser, wenn wir nur zu zweit sind«, erklärte er. »Vielleicht möchte Stella noch mit mir reden. Trotzdem vielen Dank.«
    Â»Wann fährst du nach London?«, fragte Alexander. »Wir könnten zusammen fahren. Wäre doch lustiger.«
    Â»Wahrscheinlich gegen Ende der Woche. Es gibt eine Menge zu tun. Anwälte und so weiter. Ich bin das alles jetzt schon leid, dabei hat es gerade erst angefangen.«
    Â»Ich könnte mit dir fahren.«
    Â»Ja, gut. Wir sprechen uns morgen und machen etwas aus.«
    Mit einem Mal wirkte das Haus leer und verlassen. Montignac stieg die Treppe hinauf. Nur die Dienstboten waren noch zu hören. Sie liefen zwischen der Küche und dem Salon hin und her, räumten auf und plauderten. Als er sich im Spiegel an der Wand des Treppenhauses sah, stellte er fest, dass auf seinen Lippen ein Lächeln lag. Er ließ es sofort verschwinden. Stella war in ihr Zimmer gegangen. Aus der Entfernung konnte er von dort das leise spielende Grammofon wahrnehmen. Es war eine Melodie, die er nicht kannte und die ihm nicht gefiel.
    An seiner Tür angekommen, führten seine Schritte ihn wie von selbst weiter über den Flur und dann die wenigen Stufen hinauf zu dem Zimmer seines verstorbenen Onkels. Die Tür war zu, aber nicht abgesperrt. Er drehte den Knauf und trat einen kleinen Schritt zurück, als fürchte er sich vor dem, was er drinnen vorfinden könnte. Dann zog er die Tür auf und spähte in den Raum. Alles war genau so, wie er es in Erinnerung hatte. Er schaute nach allen Seiten, trat ein und durchquerte den Raum zu dem Fenster, das seit dem Tod seines Onkels vor wenigen Tagen geschlossen war. Die Luft war stickig geworden. Er legte eine Hand auf den Griff und ließ sie dort einen Moment, ehe er das Fenster aufstieß. Ein Schwall frischer Luft wehte herein, gefolgt von Rosenduft.
    Montignac schaute nach unten, sah, dass dieser Narr Raymond Davis ins Haus trat, und runzelte die Stirn. Er war davon ausgegangen, dass alle Gäste verschwunden waren, erst recht der ihm verhasste Raymond. Ein gemeinsamer Freund von Stella und ihm hatte ihm erzählt, dass sie und Raymond vor zwei Wochen eine Suite im Savoy gemietet und die Nacht dort verbracht hatten, was Stella für sich behalten hatte. Der Gedanke an diese Nacht versetzte Montignac einen Stich, in dem sich Schmerz und Eifersucht mischten. Hätte man Raymond als Mann bezeichnen können, wäre es nicht so

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