Das Vermächtnis der Montignacs
alter Knabe zu sein«, sagte Domson, der den Richter während der Verhandlung beobachtet und dessen Miene studiert hatte, wenn die unappetitlicheren Aspekte des fraglichen Abends zur Sprache kamen. »Welche Schule hat er besucht?«
»Wo er zur Schule gegangen ist, ist für diesen Fall ebenso belanglos wie die Frage, wie er seine Eier morgens am liebsten isst«, antwortete McAlpine unwirsch. »Also wirklich, Henry, vielleicht sollten Sie langsam mal beginnen, diesen Prozess ernst zu nehmen. Immerhin steht Ihr Leben auf dem Spiel.«
Aber Domson blieb ungerührt und beharrte darauf, dass kein englischer Richter einen Mann seines Ranges zu etwas derart Extremem wie die Todesstrafe verurteilen würde. Stattdessen ging er davon aus, ein paar Jahre in einem der harmloseren Gefängnisse absitzen zu müssen und sechs Monate nach der Berufung unauffällig entlassen zu werden. Nach diesem kleinen Klaps auf die Finger würde er schwören, hinfort nicht mehr zu sündigen und zu seinem früheren Leben zurückkehren.
»Ich glaube ohne jeden Zweifel, dass der britische Snobismus über die britische Rechtssprechung siegt«, erklärte er und richtete seine Krawatte im Spiegel.
Aber restlos dumm war er doch nicht, denn als der Richter, Sir Roderick Bentley, den Gerichtssaal betrat und Domson sich von der Anklagebank erhob, versuchte er, reuig zu wirken. Roderick lieà sich auf dem Richterstuhl nieder, ordnete die Bücher und Unterlagen auf dem Tisch neu, schenkte sich ein groÃes Glas Wasser ein und wartete darauf, dass sich alle wieder setzten und Ruhe einkehrte. Dann warf er einen Blick in den Saal und registrierte verstimmt, wie viele Neugierige sich eingefunden hatten, als wäre ein Urteil über das Leben oder den Tod eines Menschen ein sportliches Ereignis. Er richtete seinen Blick auf die Galerie und entdeckte Jane neben ihrer Freundin Eleanor Tandy. Als sich ihre Blicke trafen, deutete Jane ein Nicken an. Erleichtert dachte er daran, dass die Diskussionen darüber, was er in diesem Fall am besten tun solle, was er zu ihrem Besten tun solle, nach diesem Tag beendet wären. Denn wenige Minuten nach dem Schuldspruch am vergangenen Donnerstag hatte er entschieden, dass Justizia blind bleiben musste, auch dann, wenn es um Fragen der Klassenzugehörigkeit und gesellschaftlichen Position eines Menschen ging.
Der Gerichtsdiener befahl Henry Domson aufzustehen. Im Gerichtssaal wurde es still, als hielten alle den Atem an. Roderick räusperte sich und ergriff das Wort.
»Henry Domson«, begann er. »Sie wurden des Mordes an Constable Peter Milburn für schuldig befunden, eines Mannes, der sich zurzeit der Straftat gemäà seinen Vorschriften verhielt. Allein bei Mord handelt es sich um ein Kapitalverbrechen, doch die Ermordung eines Polizisten gilt darüber hinaus als besonders schändlich.«
In diesem Sinne äuÃerte Roderick sich noch eine Weile und führte die Präzedenzfälle und Nebenumstände an, die in seine Ãberlegungen geflossen waren. Domson unterdrückte ein gelangweiltes Gähnen. Die Zuschauer sahen so aus, als wollten sie »mach schneller« rufen.
»Dem Gericht ist bekannt, dass Mr Domson früher einmal charakterfest war«, fuhr Roderick fort. »Ebenso kennen wir seine schulischen Leistungen in Eton.« Der Name der Schule wurde von einem abfälligen Schnauben begleitet, denn Roderick selbst hatte Harrow besucht. »Sogar seine, wenn auch entfernte, Verwandtschaft mit namhaften Mitgliedern der obersten Hierarchie unseres Landes ist uns bekannt. Doch die Waage der Gerechtigkeit wird von einer Instanz gehalten, die derlei Dingen keine Beachtung schenkt, die blind bleibt, selbst wenn es um Umstände und Titel geht. Denn diese sind lediglich Randnotizen, nur dazu da, uns Gefühle des Schocks und der Enttäuschung zu vermitteln, weil jemand, der der Welt so viel zu bieten hatte, beschlossen hat, seine Gaben zu missachten.«
Roderick holte Luft, um das Urteil zu verkünden, doch in dem Moment tauchte das Bild seines Sohnes vor seinem inneren Auge auf. Gareth, der wie Henry Domson dreiundzwanzig Jahre alt war. Was wäre, wenn die Dinge anders lägen, fuhr es ihm durch den Sinn. Was wäre, wenn Gareth sich von der Anklagebank erhoben hätte und ein anderer Richter in Seidenrobe dabei wäre, ein solches Urteil zu fällen. Was würde Gareth dann empfinden? Die Antwort war einfach,
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