Das Vermächtnis der Montignacs
geklopft wurde, wurde er aus seinen Ãberlegungen gerissen, schaute jedoch nicht auf. Er nahm an, dass es sich um einen Kunden handelte, der feststellen wollte, ob die Galerie noch geöffnet war, und verschwinden würde, wenn ihm klar wurde, dass sie geschlossen war. Vorn im Ausstellungsraum hatte Montignac das Licht ausgeschaltet, aber die beiden Leuchten über seinem Schreibtisch brannten noch und signalisierten demjenigen an der Tür vermutlich, dass in der Galerie noch jemand war.
Jetzt wurde an der Tür gerüttelt. Verärgert sah Montignac hoch und stand auf, um erkennen zu können, wer da war.
»Wir haben geschlossen«, rief er und konnte einen Mann mit Hut und Mantel ausmachen, der im Dämmerlicht auf der StraÃe stand. »Kommen Sie morgen wieder.«
»Mr Montignac?«, rief der Mann. »Owen, sind Sie das?«
Für einen Takt setzte Montignacs Herzschlag aus. Er überlegte, ob Delfy jemanden geschickt hatte, um ihm die Dringlichkeit der Rückzahlung zu vermitteln. Doch die Frage des Mannes hatte höflich geklungen, und das, was er von ihm erkennen konnte â normale GröÃe, normaler Körperbau, eleganter Mantel â, genügte, um ihn zu beruhigen. Dennoch sah er sich hastig um und fragte sich, ob es Sinn machte, durch die Hintertür zu entschlüpfen.
»Wer ist da?«, rief er und versuchte erneut, sich einen Grund für einen solch späten Besuch zusammenzureimen.
Der Mann rief einen Namen, der jedoch im Motorengeräusch eines vorbeifahrenden Wagens unterging. Montignac verlieà seinen Schreibtisch und durchquerte die Galerie leise zum Eingang. Die StraÃenlampe vor der Galerie war defekt, sodass er das Gesicht seines Besuchers nur verschwommen wahrnahm.
»Gareth Bentley«, rief der Mann, als er Montignac erblickte, nickte munter, nahm seinen Hut ab und grinste. »Wir haben uns gestern Abend kennengelernt, erinnern Sie sich?«
Montignac fiel der junge Mann ein, mit dem er sich am vergangenen Abend ein Taxi geteilt hatte, dessen Eifer und verzweifelter Wunsch einem Sklavendasein zu entgehen; die Augen, die allein angesichts der Möglichkeit, eine Stelle angeboten zu bekommen, aufgeleuchtet hatten. Dank Stellas Besuch und der Sorgen, die er sich tagsüber wegen seiner Schulden gemacht hatte, hatte er die Begegnung mit dem jungen Bentley vollkommen vergessen.
»Natürlich erinnere ich mich an Sie«, sagte er, schloss die Tür auf und öffnete sie wie eine Spinne, die eine Fliege in ihr Netz einlädt. »Kommen Sie, treten Sie ein.«
KAPITEL 4
1
Der Termin war um elf Uhr morgens. Montignac erschien zehn Minuten zu früh vor dem heruntergekommenen Bürogebäude und beschloss, noch nicht hineinzugehen. Stattdessen blieb er auf der StraÃe stehen und rauchte im hellen Sonnenlicht des Augusttages eine Zigarette. Doch dann beunruhigte ihn der Gedanke, jemand könne ihn von einem Fenster aus entdecken, und er verzog sich in eine Nebengasse, wo man ihn von dem Bürogebäude aus nicht sehen konnte. Allerdings machte ihn die gesamte Gegend nervös, eine laute Ecke Londons, in der er sonst nie verkehrte, wo ärmlich gekleidete Kinder auf der StraÃe um ihn herumrannten und die Essensgerüche aus den überfüllten Mietskasernen ihn überwältigten.
Der erste Kontakt war durch einen jungen Mann zustande gekommen, der am vergangenen Nachmittag mit einer Sammlung Aquarelle, die er verkaufen wollte, in der Threadbare erschienen war. Die Bilder hatten Montignac recht gut gefallen, weshalb er das Angebot, sie zu kaufen, ausgeschlagen hatte, denn zu den anderen Meisterwerken der Galerie hätten sie nicht gepasst. Zu seiner Verblüffung schien der Besucher darüber nicht sonderlich enttäuscht. Montignac stellte ihm einige Fragen bezüglich der Technik, die er in einem der Aquarelle angewandt hatte. Dabei stellte er fest, dass der Mann sie gar nicht gemalt hatte und auch etliche der Begriffe, die Montignac benutzte, nicht verstand.
»Hier in der StraÃe gibt es eine Menge Galerien, oder?«, wechselte er das Thema und fügte hinzu, sein Name sei Tom Sweeney.
»In der Tat«, antwortete Montignac und hätte um ein Haar gelacht. »Um nichts anderes geht es in der Cork Street. Sie ist das Geschäftszentrum der Londoner Kunstwelt.«
»Die werden sicher alle bestens bewacht«, mutmaÃte Sweeney.
»Nicht unbedingt«, klärte Montignac ihn auf.
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