Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
zur Faust. Die andere hielt das wuchtige Claymore-Schwert, das er über der tartangeschmückten Schulter trug. »Ein Cameron fürchtet sich vor nichts und niemandem. Schon gar nicht vor diesen Engländern in ihren roten Weiberröcken!«
Der Junge lachte, aber es klang heiser und unecht angesichts der Angst, die sich in seinem Magen ballte.
»Nur Mut«, redete sein Onkel ihm zu und setzte ein breites Grinsen auf. »Aye, Kleiner, heute wirst du ein Mann werden. Du wirst den Gestank des Blutes riechen, aber auch den süßen Geschmack des Sieges kosten.«
Der Junge nickte und schlug weiter die Trommel, schneller und schneller. Die Männer verfielen in Laufschritt. Als der Gesang der Dudelsäcke zu einem gellenden Heulen anschwoll, stimmten die Kämpfer der Clans Cameron und McLaren heiseres Kampfgeschrei an. Sie hoben ihre Schwerter, Piken und Äxte und stürmten weiter, während jenseits der Senke dumpfer Donner erklang, mehrmals hintereinander.
Der Junge zuckte zusammen. Er hatte Mühe, mit den Kriegern Schritt zu halten, vergaß darüber gar, seine Trommel zu schlagen. Sein Onkel hatte ihm eingeschärft, dass er an seiner Seite bleiben sollte – zum einen, damit er auf ihn aufpassen konnte, zum anderen, damit er mit eigenen Augen sehen sollte, was eine Claymore-Klinge unter Engländern anrichten konnte.
Plötzlich lag ein helles Pfeifen in der Luft.
»Aye«, hörte er seinen Onkel noch rufen, »jetzt beginnt der Tanz!« Dann überstürzten sich die Ereignisse.
Das Pfeifen wurde laut, und etwas verfinsterte den Himmel über ihnen. Im nächsten Augenblick gab es ein hässliches Geräusch, dann klatschte etwas auf ihn herab, warm und rot und so glitschig, dass der Junge darin ausglitt.
Er schrie entsetzt auf, als er zu Boden schlug, wischte sich panisch Gesicht und Augen. Als er endlich wieder etwas erkennen konnte, sah er den zerfetzten Leichnam seines Onkels vor sich liegen. Dort, wo eben noch das bärtige, schwarzhaarige Haupt gesessen hatte, klaffte eine grässliche Wunde.
Der Junge schrie wie von Sinnen, während sich gleichzeitig alles um ihn aufzulösen schien. Wo immer er auch hinsah, tränkte schreiend rotes Blut den Boden, erblickte er leblose Körper, abgerissene Arme und Beine. Wer von den Kämpfern der Camerons noch nicht getroffen war, der stürmte weiter dem Feind entgegen, doch der empfing ihn mit krachenden Musketen, gegen die Schwerter nichts auszurichten vermochten und Schilde keinen Schutz boten. Die Männer vollführten bizarre Tänze im Kugelhagel des Feindes, den sie noch nicht einmal zu sehen bekommen hatten, brachen blutüberströmt zusammen.
Der Junge schrie noch immer. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, Tränen standen ihm in den Augen, Übelkeit bemächtigte sich seiner. Ein Instinkt drängte ihn zur Flucht, aber weder wusste er wohin, noch würden ihn seine Beine tragen können. Auf allen vieren, die nutzlos gewordene Trommel hinter sich her schleppend, kroch er über den morastigen Boden, in dessen Kuhlen sich das Blut sammelte, vorbei an Verwundeten, die im Dreck lagen und wie von Sinnen brüllten.
»Hilf mir!«, rief einer von ihnen und packte den Jungen am Kragen seines Hemdes. »Du musst mir helfen, hörst du? Du musst meine Beine finden!«
Entsetzt riss sich der Junge los und kroch weiter, auf die niedere Torfmauer zu, die das Gelände durchzog.
Plötzlich ein singendes Geräusch. Der Junge zuckte zusammen, hatte das Gefühl, dass etwas ihn nur um Haaresbreite verfehlte – und fühlte plötzlich stechenden Schmerz an seinem linken Arm.
Entsetzt blickte er an sich herab, sah das Blut und verfiel erneut in entsetztes Geschrei. Bäuchlings robbte er weiter, kauerte sich in den Schutz der Mauer, während das Sterben ringsum weiterging. Um nicht noch mehr mitzubekommen, schloss er die Augen und presste die blutigen Hände auf die Ohren. Doch weder die Schreie der Sterbenden noch der Donner der Kanonen ließen sich dadurch aussperren. Alles drang weiter an sein Ohr, während er dort kauerte und weinte und den Herrn um Hilfe anflehte.
»Rette mich, Herr, ich bitte dich! Rette mich, Herr, ich bitte dich!«
Er wiederholte die Worte wieder und wieder, bis sie zu einer Art Gesang wurden, in den er sich hüllte wie in eine schützende Decke. Dann jedoch wurde ihm klar, dass tatsächlich ein wärmendes Fell um seine Schultern lag und dass er im Schlaf gesprochen hatte – und dass der vermeintliche Kanonendonner in Wahrheit von der Tür rührte, gegen die jemand schlug. Ächzend
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