Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Freund.«
»Aber nein«, widersprach McCauley und sah Quentin dabei fest ins Gesicht. »Ich danke Ihnen.«
»Müssen unsere Wege sich denn wirklich trennen?«, fragte Mary. »Wir könnten auch gemeinsam nach Edinburgh reisen.«
»Diese Aussicht ist sehr reizvoll, Mrs. Hay«, versicherte McCauley mit einem schmeichelhaften Lächeln, »doch meine Pflichten verlangen es, dass ich mich unmittelbar nach meiner Ankunft bei der Academy melde.«
»Aber Sie können uns besuchen, sobald Ihre Pflichten es erlauben. Auch Brighid würde sich bestimmt darüber freuen.«
»Wie könnte ich einer solch charmanten Einladung widerstehen?«, fragte McCauley, wobei er sich verbeugte und mit Handküssen von den beiden Damen verabschiedete.
»Wir werden im Stadthaus der Familie Scott wohnen«, erklärte Quentin, »das ist nicht weit von der Universität entfernt, George Square 25.«
»George Square 25«, wiederholte McCauley und tippte sich dabei an die Schläfe. »Ich werd’s mir merken. Also dann – auf bald!« Galant hob er seinen Zylinder, wandte sich um und bestieg seine Droschke.
Quentin und Mary winkten ihm noch eine Weile nach, dann stiegen sie ebenfalls in ihre Kutsche ein, auf deren Dach das Reisegepäck verzurrt war. Wie es sich für einen Gentleman gehörte, ließ Quentin den beiden Frauen den Vortritt, wartete geduldig, bis es diesen gelungen war, sich trotz ihrer ausladenden Röcke durch die schmale Tür zu zwängen. Er wollte gerade folgen, als er plötzlich das Gefühl hatte, einen bohrenden Blick in seinem Nacken zu spüren.
Jäh wandte er sich um, sah, dass eine der Gestalten, die sich auf der anderen Straßenseite in den dunklen Mauernischen eines Lagerhauses herumdrückten, direkt zu ihm herüberblickte – und sich abrupt abwandte, als er den Blick erwiderte.
Ein Zufall? Oder hatte der Kerl ihn beobachtet?
Quentin merkte, wie ihn dasselbe hässliche Gefühl beschlich, das er auch schon in New York verspürt hatte. Oder war er wiederum nur einer Täuschung erlegen? Spielten seine Trauer und die Erinnerung an die aufregenden Zeiten, die er und sein Onkel zusammen erlebt hatten, ihm einen Streich?
»Alles in Ordnung?«, fragte Mary besorgt, die ihn durch das glaslose Fenster der Kutsche beobachtet hatte.
»Ja, meine Liebe, alles in Ordnung«, beteuerte er und zwang sich zu einem Lächeln.
Er stieg ein, entschlossen, seine Befürchtungen für sich zu behalten – schon deshalb, weil er die beiden Frauen nicht beunruhigen wollte.
Das Gefühl der Unsicherheit jedoch blieb bestehen.
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2
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Florenz
November 1784
»Habe ich dir je gesagt, dass du eine Schönheit bist?«
Das Kompliment kam so unvermittelt, dass Serena errötete. Sie wusste inzwischen, dass der Herzog zu Schmeicheleien neigte, aber bislang waren sie eher allgemeiner Natur gewesen, hatten ihre Kochkünste betroffen oder ihr freundliches Wesen, niemals jedoch ihr Aussehen. Aber der Herzog hatte schon manches Mal gezeigt, dass er zu unerwarteten Reaktionen neigte, und er schien es zu genießen, die Überraschung in ihren Zügen zu sehen.
Er lachte, wie es seine Art war: ein helles, jugendliches Gelächter, das beinahe unbeschwert wirkte, jedoch niemals ausreichte, um die Traurigkeit aus seinem Blick zu vertreiben. Wie immer saß er in seinem Sessel, während sie ihm zu Füßen auf einem Schemel kauerte wie ein Kind.
»Das … ist sehr großzügig von Euch, Herr«, war alles, was ihr als Erwiderung einfiel.
»Eigentlich nicht«, erwiderte er. »Meine Augen gehören dankenswerterweise zu den Dingen an meinem Körper, die noch in vollem Umfang funktionieren.«
Er lachte wieder, und obwohl sie nicht sicher war, ob er tatsächlich einen Scherz gemacht hatte, stimmte sie in das Gelächter ein, was ihm zu gefallen schien. Er reichte ihr seinen wie immer mit Bordeaux gefüllten Becher und ließ sie daran nippen, und wie meist ließ die Wirkung nicht lange auf sich warten. Anders als der Herzog, der dem Rebensaft regelmäßig zusprach, war Serena nicht daran gewohnt, entsprechend spürte sie den Alkohol sofort, und während sie anfangs noch darüber erschrocken gewesen war, genoss sie inzwischen den Zustand, in den der Wein sie versetzte.
Sie fühlte sich dann unbeschwert.
Leicht wie eine Feder.
Frei von Zwängen.
Serena vermochte nicht mehr genau zu sagen, ihr wievieltes Treffen dies war. Immer dienstags, wenn die Duchess und ihr Gesinde nicht im Palazzo weilten und alle bis auf den getreuen Manus das Haus verlassen hatten, rief der
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