Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Herzog Serena zu sich. Dann nahm sie zu seinen Füßen Platz, und sie tranken gemeinsam Wein und sprachen über die verschiedensten Dinge.
Anfangs waren es nur Belanglosigkeiten, beiläufige Bemerkungen über dies und das, und Serena fragte sich, warum ein so wohlhabender und gebildeter Mann wie er Interesse am Plausch mit einer Hausbediensteten haben mochte; doch je öfter sie sich trafen, desto mehr vertieften sich ihre Gespräche, und schon bald gewann Serena den Eindruck, dass ihr geheimnisvoller Dienstherr längst nicht so unantastbar und mächtig war, wie sie es stets geglaubt hatte. Und dass die Krankheit, die ihn plagte, nicht körperlicher Natur war, sondern ihren Ursprung in seinem Herzen hatte …
»Du lachst, wenn ich scherze«, stellte er mit einer Mischung aus Heiterkeit und Wehmut fest.
»Warum auch nicht, Herr?«, fragte sie mit vom Wein beflügelter Zunge.
»Du verstehst mich, begreifst mein Wesen, obschon wir uns erst seit Kurzem kennen. Anders als dieses blutleere Geschöpf, das in diesen Hallen umgeht wie ein Gespenst.«
»Von wem sprecht Ihr, Herr?«, fragte Serena unbedarft.
»Von wem wohl?« Er zuckte mit den schmalen Schultern. »Von meiner Tochter natürlich.«
Serenas Lächeln gefror ihr auf den Lippen. Ein Teil von ihr begriff, dass das Gespräch dabei war, sich in eine für sie gefährliche Richtung zu entwickeln. Der andere, vom Alkohol beschwingte Teil ließ sie indes einfach weiterplappern. »Die Duchess? Aber sie tut alles für Euch, Herr! Ich weiß, dass Euer Wohlergehen ihr sehr am Herzen liegt.«
Er lachte bitter auf, strich sich das weiße Haar aus dem Gesicht. »Das will ich gerne glauben. Schließlich erwartet sie, etwas von mir zu erhalten, das nur ich ihr zu geben vermag.«
»Tatsächlich?« Serena hob die Brauen.
»Ich beneide dich, Kind«, sagte der Herzog und streckte eine dürre Hand aus, um ihr über das Haar zu streichen. »In deiner Welt sind die Dinge einfach. In meiner hingegen sind sie verworren und kompliziert. Oder hättest du geglaubt, dass ich in diesen Hallen ein Gefangener bin?«
»Ein Gefangener, Herr? An einem Ort wie diesem?«
»Es ist ein Käfig mit goldenen Gitterstäben«, gab der Herzog unumwunden zu. »Nichtsdestotrotz ist es ein Käfig, aus dem man mich erst entlassen wird, wenn ich das getan habe, wozu man mich nötigen will.«
»Aber Herr!«, rief Serena aus, die diese Neuigkeiten tatsächlich zutiefst erschreckten. »Das ist ja entsetzlich! Und wozu will man Euch nötigen?«
Albany seufzte. »Ich wünschte, ich könnte es dir verraten, mein Kind. Aber damit würde ich dich in Gefahr bringen, und das will ich nicht. Du bist jung und voller Zuversicht. Du sollst nicht dasselbe Schicksal erleiden wie ich.«
»Das … ist sehr rücksichtsvoll von Euch, Herr«, versicherte sie, zugleich eingeschüchtert und voller Neugier. »Aber wenn es etwas gibt, wobei ich Euch helfen kann …«
»Mach, dass sie verschwinden«, erwiderte er augenzwinkernd, aber ohne erkennbare Heiterkeit. »Charlotte ebenso wie all diese Speichellecker, die sie mir ins Haus bringt und die alle etwas von mir wollen, das ich ihnen nicht geben kann.«
»Sprecht Ihr von den Franzosen, Herr? Von der Revolution?« Serena hatte die Frage ausgesprochen, noch ehe sie recht darüber nachgedacht hatte. Sie erschrak und biss sich auf die Lippen, in banger Erwartung der Reaktion des Herzogs.
Würde er wütend werden?
Sie zurechtweisen?
Sie gar aus seiner Gegenwart verbannen?
Doch zu ihrer Erleichterung huschte ein sanftes Lächeln über die Züge ihres Dienstherrn. »Revolution?«, wiederholte er. »Was weiß ein kleines Mädchen wie du von solchen Dingen?«
»Nichts, Herr«, beeilte sie sich zu versichern.
»Hier geht es um sehr viel größere Dinge als den Traum von ein paar hergelaufenen Narren«, stellte er klar. »All diese Leute, die Charlotte zu mir bringt, begehren etwas. Etwas, das nur ich ihnen geben kann, aufgrund dessen, was ich bin. Doch ich kann und will mich ihrem Ansinnen nicht beugen, und deshalb bedrohen sie mich, trachten mir nach dem Leben.«
»Ist das wahr, Herr?«, fragte Serena bestürzt.
»Zweifelst du an meinen Worten?«
»Natürlich nicht, Herr.«
»Was du vor dir siehst, mein Kind, sind die Überreste dessen, was ich einst war. In jungen Jahren habe ich alles gewagt, um alles zu gewinnen, doch das Schicksal meinte es schlecht mit mir. Meine Pläne scheiterten, und ich kann von Glück sagen, mit dem Leben davongekommen zu sein. Das war
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