Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
trug. Dem Akzent seiner Stimme nach stammte er aus den Lowlands. »Du versprachst uns, mehr über jenen geheimnisvollen Passagier in Erfahrung zu bringen, der angeblich aus den Kolonien eintreffen sollte und unter dem königlichen Wappen reist.«
»So ist es«, stimmte Scrymgour zu.
»Und? Was hast du herausgefunden?«
Scrymgour ließ sich mit der Antwort Zeit. Er genoss es, die Blicke der Versammelten auf sich zu ziehen und zu wissen, dass er sie alle am Haken hatte. Schon in wenigen Augenblicken würden auch die letzten unter ihnen ihren Widerstand aufgeben und ihn zum neuen Anführer der Bruderschaft erwählen. Und dann …
»Meine Mittelsmänner in Leith haben mir von einem Schiff berichtet, das vor zwei Tagen aus Übersee eingetroffen ist, an Bord Frachtgüter sowie vier Passagiere.«
»Und?«
»Einer der Passagiere ist ein Arzt namens McCauley«, fuhr Scrymgour fort, »der einen Vortrag an der medizinischen Fakultät der Royal Academy halten soll – für uns uninteressant. Doch die Namen der beiden nächsten Passagiere auf der Liste haben meine Aufmerksamkeit geweckt, und ich bin sicher, dass es euch ähnlich ergehen wird. Denn es handelt sich bei ihnen um keine anderen als Quentin Hay und seine Frau Mary, euch allen besser bekannt als Mary of Egton.«
Hätte er sich vor den Augen der anderen erschossen, ihre Betroffenheit hätte kaum größer sein können. Die meisten der Vermummten standen wie versteinert, einige wiederholten die Namen, ungläubig und staunend.
»Ihr habt richtig gehört«, sagte Scrymgour in die Runde. »Quentin Hay, der seinem Onkel Walter Scott seinerzeit dabei half, diese unsere Bruderschaft zu verfolgen und zu zerschlagen. Und Mary of Egton, die uns ans Ziel unserer Pläne bringen sollte, jedoch um ein Haar unser aller Vernichtung heraufbeschworen hat. Sie sind beide zurückgekehrt – und ich kann nicht glauben, meine Brüder, dass dies purer Zufall ist.«
»Aber … wenn es kein Zufall ist«, wandte Fuchsgesicht ein, »was hat es dann zu bedeuten? Sind sie womöglich gekommen, um Scott dabei zu helfen, auch noch den Rest von uns zu jagen und zur Strecke zu bringen?«
»Keineswegs«, versicherte Scrymgour, ehe erneut Furcht um sich greifen konnte, »denn eine Wendung ist eingetreten, wie sie für uns nicht günstiger sein könnte: Walter Scott, unser aller Erzfeind und Nemesis, ist tot.«
»Was? Scott ist tot?«
Ein Raunen ging durch die Reihen. Scrymgour war dankbar dafür, dass die Wolfsmaske sein zufriedenes Grinsen verbarg.
»Wie kommt es, dass wir nichts davon wissen?«, fragte einer.
»Scott starb bereits vor einigen Wochen, jedoch hat seine Familie darauf bestanden, seinen Tod bis zur Testamentseröffnung zu verheimlichen«, erklärte Scrymgour weiter.
»Wie kannst du dann davon wissen, Bruder?«
»Weil ich eine gute Verbindung zur Hafenkommandantur unterhalte«, erwiderte Scrymgour nicht ohne Stolz. »Und diese Verbindung hat mich wissen lassen, dass Hay und seine Frau zurückgekehrt sind, um Scotts Nachlass zu regeln. Das allein ist jedoch noch nicht von Bedeutung. Unser Interesse hat vielmehr der Frau zu gelten, die sich in Hays Begleitung befindet.«
»Was für eine Frau?«
»Die vierte Reisende an Bord des Schiffes. Es ist so gut wie nichts über sie bekannt – außer dass sie die Überfahrt offenbar als blinder Passagier angetreten hat und sich an ihre Vergangenheit nicht erinnern kann. Zumindest ist es das, was man uns glauben machen will.«
»Du zweifelst?«
»In der Tat, meine Brüder«, bestätigte Scrymgour und bereitete sich darauf vor, die Katze aus dem Sack zu lassen, »denn ich denke, dass sehr viel mehr hinter dieser Sache steckt. Wieso sonst hätte Quentin Hay in der Hafenkommandantur eine Leumundsbürgschaft für diese Frau unterschreiben und ihr so die Einreise ermöglichen sollen?«
»Du … du denkst, es besteht ein Zusammenhang?«, fragte der Mann, der Urisks Geistermaske trug. »Ein Zusammenhang mit dem Wappen der Stewarts?«
»Ich denke«, entgegnete Scrymgour, jedes einzelne Wort sorgfältig betonend, »dass wir diese Frau näher in Augenschein nehmen sollten.«
»Und wenn es eine Falle ist?«, wandte Fuchsgesicht ein. »Wenn diese Frau ein Köder ist und Scotts Erben uns damit nur anlocken wollen, um uns endgültig zu vernichten?«
»Diese Gefahr besteht«, räumte Scrymgour ein, »deshalb werden wir sehr vorsichtig sein und zunächst nur beobachten. Wenn es eine Falle ist, so werden wir unseren Feinden nicht den Gefallen
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