Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
tun, blindlings hineinzutappen. Sollte sich jedoch mehr hinter dieser Sache verbergen und diese Frau tatsächlich sein, was wir vermuten, so könnten sich durch sie gleich zwei historische Chancen ergeben – nämlich zum einen, die rechtmäßige Thronfolge wiederherzustellen und die britischen Usurpatoren aus dem Land zu vertreiben …«
»Und zum anderen?«, fragte Fuchsgesicht.
»… und zum anderen die Chance, sich an Scotts Nachkommen blutig zu rächen und sie für ihre Vergehen zur Rechenschaft zu ziehen«, fuhr Scrymgour grimmig fort und blickte auffordernd in die Runde. »Wer von euch ist dafür, meine Brüder? Wer ist dafür, dass diese geheime Organisation ihre Arbeit wieder aufnimmt, mit mir als ihrem Anführer, zum Wohle unseres geliebten Schottlands und zum Verderben aller Feinde und Verräter?«
Einige hoben sofort die Arme, andere zögerten noch einen Augenblick, ehe auch sie ihre Zustimmung gaben. Als letzter erklärte sich Fuchsgesicht einverstanden – und Scrymgour wusste, dass er diesen ersten, wichtigen Kampf gewonnen hatte.
»Runen und Blut«, gab er die Losung aus. »Für ein neues Königreich Schottland!«
»Runen und Blut«, echote es dutzendfach über die Jahrtausende alten Steine und in die kalte, mondlose Nacht, die über den Hügeln der Highlands lag.
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4
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George Square, Edinburgh
Zur selben Zeit
»Meine lieben Kinder! Wie schön, euch zu sehen!«
Als Quentin und Mary den Salon des Hauses betraten, das der Familie Scott als Stadtwohnsitz diente, war es ein wenig, als würden sie in der Zeit zurückversetzt.
Die holzgetäfelte Decke, die Bilder an den Wänden, das Feuer im Kamin, dazu der Geruch des frisch gewachsten Parketts, all das weckte Erinnerungen an eine Zeit, die aufregend gewesen war, aber auch in vielerlei Hinsicht unbeschwert. Und aus den Nebeln dieser Vergangenheit trat ihnen Lady Charlotte entgegen.
Sir Walters Ehefrau war gealtert, unübersehbar, nicht nur an den Jahren, sondern, so kam es Quentin vor, vor allem am Kummer. Das Kleid, das sie trug, war von tiefschwarzer Farbe, und abgesehen von einer Schleife, mit der es im Rücken gebunden war, war es schlicht und schmucklos. Dunkle Ränder lagen um die sanft blickenden Augen der Frau, die für Quentin stets der Inbegriff einer schottischen Lady gewesen war, Falten hatten sich in ihr Gesicht gegraben. Die Freude über den Besuch aus Übersee war ihr aber dennoch deutlich anzumerken.
»Es ist so wunderbar, euch wiederzusehen«, sagte sie noch einmal mit ihrem unverkennbaren französischen Akzent, der ihr geblieben war, obschon sie bereits als Kind nach England gekommen war. Sie umarmte zuerst Quentin und dann Mary, küsste sie auf die Stirn. Dabei war ihr deutlich anzumerken, dass sie mit den Tränen kämpfte.
»Die Freude ist ganz auf unserer Seite, Lady Charlotte«, versicherte Quentin. Er verspürte Befangenheit, sowohl des Ortes als auch der freundlichen Begrüßung wegen, von der er das Gefühl hatte, er hätte sie nicht verdient.
»Tante Charlotte«, verbesserte sie lächelnd. »Haben die vier Jahre in den Kolonien dir die Steifheit immer noch nicht ausgetrieben?«
»Ich fürchte, nein, La- … Tante«, erwiderte Quentin. Dann konnte er nicht länger so tun, als ob nichts geschehen wäre. Tränen traten ihm in die Augen und rannen an seinen Wangen herab. »Es tut mir leid«, flüsterte er. »Es tut mir unendlich leid.«
»Mein lieber Junge.« Sie fasste sein Gesicht mit beiden Händen, blickte ihm tief und eindringlich in die Augen. »Es war Schicksal. Früher oder später musste es wohl so kommen. Mein guter Walter hatte stets einen gewissen Hang dazu, sich in Schwierigkeiten zu bringen, wie du weißt.«
»Ich weiß.« Quentin wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, während er sich in Gedanken dafür schalt, dass er sich so gehen ließ, während seine Tante viel gefasster blieb, obschon sie den ungleich größeren Verlust zu verkraften hatte.
»Wir müssen nach vorn blicken«, erklärte Lady Charlotte mit einer Ruhe, die Bewunderung verdiente, auch wenn es ihr sichtlich schwerfiel, die Worte auszusprechen. »Gut, dass ihr hier seid«, sagte sie dann und bedachte Quentin und Mary mit einem freundlichen Lächeln, ehe ihr Blick zu Brighid wanderte. »Und wer ist diese Schönheit?«
»Eine Freundin«, erklärte Mary ohne Zögern. »Wir haben uns während der Überfahrt kennengelernt. Ihr Name ist Brighid.«
»Brighid.« Lady Charlotte nickte der fremden Frau freundlich zu, worauf diese
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