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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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»Allerdings muss man auch wissen, dass ihnen dieser Brauch von Weißen beigebracht wurde, die ihnen während des Krieges zwischen England und Frankreich für jeden Haarschopf ein Kopfgeld bezahlten.«
    »Das ist barbarisch«, entrüstete sich Sophia. »Barbarisch und gewalttätig wie das ganze Land.«
    »Die Zivilisation mag dort noch nicht weit vorgedrungen sein«, räumte Lady Charlotte ein, »aber wir wollen nicht vergessen, dass es auch hierzulande Menschen gibt, denen ein Leben nichts bedeutet.«
    Eisige Stille trat am Tisch ein, denn jedem war klar, worauf sie anspielte, und jede Erwiderung schien unpassend zu sein. Schweigend aßen sie weiter, nur der leise Klang des Bestecks war zu hören, ehe sich Quentin ein Herz fasste.
    »Wie ist es passiert?«, wollte er wissen.
    »Wir wissen es nicht genau«, gab Walter zur Antwort.
    »In jener Nacht ist Vater bei James Ballantyne gewesen«, berichtete Anne leise. »Danach wollte er zu Fuß nach Hause gehen, doch er ist nie hier angekommen. Es gibt Zeugen, die einen Schuss gehört haben, aber es gibt keine Beweise.«
    »Alles, was wir wissen, ist, dass Vater danach nicht mehr gesehen wurde«, fügte Walter hinzu.
    »Er wurde nicht mehr gesehen?« Quentin runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«
    »Das soll heißen, dass diese elenden Verbrecher alles genommen haben«, entgegnete Lady Charlotte, wobei sie starr in die Flamme der Kerze blickte, die auf dem Tisch brannte. »Nicht nur seine Habe, sondern auch seine sterbliche Hülle.«
    »Wie entsetzlich«, entfuhr es Mary.
    »Ein Leichnam wurde nicht gefunden«, fasste Walter weiter zusammen, »jedoch Vaters Rock und Zylinder. Beides war blutbesudelt. Also taten wir, was zum Wohl des Verlags und der Familie getan werden musste …«
    »Wir ließen ihn für tot erklären«, verkündete Lady Charlotte mit brüchiger Stimme.
    »Aber wenn sein Leichnam nie gefunden wurde«, überlegte Quentin laut, »dann …«
    »Diese Hoffnung hatten wir zunächst auch«, versicherte Walter, »also haben wir die ganze Stadt absuchen lassen, zehn Tage lang – ohne jeden Erfolg.«
    »Ich verstehe.« Quentin konnte nicht anders, als enttäuscht das Haupt zu senken. »Wenn ich daran denke, was ihr alle durchgemacht habt …«
    Er stutzte, denn plötzlich glaubte er, einen Schatten vor dem Fenster des Erkers zu erkennen, den das Speisezimmer nach außen formte. Jäh sprang er auf, eilte zum Fenster und spähte durch das gewellte Fensterglas nach draußen in die dunkle Nacht.
    Nichts.
    Niemand.
    »Hast du etwas gesehen?«
    Lady Charlotte stand plötzlich neben ihm.
    »Ich dachte, da wäre etwas«, erwiderte Quentin, »direkt vor dem Fenster. Aber es war wohl nur ein Schatten …«
    »Ich weiß«, erwiderte sie tonlos. »Es ist immer nur ein Schatten. Auch ich habe das Gefühl, dass er noch immer dort draußen sein könnte, dass er jeden Moment an die Tür klopfen und eintreten müsste, um seine Post zu sortieren und sich dann an den Schreibtisch zu setzen wie in all den Jahren.« Sie verstummte, als der Schmerz sie zu übermannen drohte.
    »Nein, das ist es nicht«, widersprach Quentin so leise, dass nur sie ihn hören konnte. »Ich dachte, dort draußen wäre jemand, der uns beobachtet.«
    Seine Tante sah zu ihm auf, und ein wehmütiges Lächeln spielte um ihren schmalen Mund. »Ich sehe viel von ihm in dir, mein Junge. Das war schon immer so. Aber lass es gut sein, hörst du? Die Zeiten, in denen er und du alten Geheimnissen nachspürten, sind unwiderruflich vorbei.«
    Quentin zögerte nur einen Augenblick.
    »Ja, Tante Charlotte«, sagte er dann und kehrte mit ihr an die Tafel zurück.

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    5
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    Canongate, Edinburgh
Zur selben Zeit
    »Sie?«
    Als Milton Chamberlain das Kaminzimmer seines Hauses betrat, konnte er seine Überraschung nicht verbergen. Der Besuch, der dort vor dem flackernden Feuer wartete, war alles andere als erbeten. »Hatte ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie mich keinesfalls hier aufsuchen sollen? Dass ich zu Ihnen komme, wenn es nötig sein sollte?«
    »Das hatten Sie«, räumte der andere ein, der vor dem Kamin stand, seinen Zylinderhut in der einen, den Stock in der anderen Hand. »Aber Sie hatten auch gesagt, dass Sie sich um mein Anliegen kümmern wollten, Mr. Chamberlain. Und das ist bislang nicht geschehen.«
    »Und deswegen kommen Sie hierher und riskieren die Entdeckung?« Chamberlains Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ich habe kein Verständnis für diese Art von Mutprobe, Mr. McCauley!«
    »Nun«,

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