Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
erwiderte der andere und strich sich über den schwarzen Schnurrbart, »wir haben eben alle unsere Prioritäten, nicht wahr?«
»Sie treiben ein gefährliches Spiel, Sir!«
»Das finde ich nicht«, widersprach McCauley, »denn ich habe meinen Teil der Abmachung voll und ganz erfüllt. Ich habe die Frau nach Schottland gebracht und dafür gesorgt, dass Hay und seine Frau mit ihr bekannt wurden. Mehr noch, Hay hat bei ihrer Einreise sogar eine Bürgschaft für sie übernommen!«
»Sie haben gute Arbeit geleistet, in der Tat.«
»Und jetzt will ich, dass auch Sie Ihren Teil erfüllen, Chamberlain.«
»Das werde ich«, versicherte der Anwalt und trat an den kleinen Mahagonitisch, der in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes stand und mit aufwendig geformten Flaschen bestückt war. »Scotch?«
»Nein, danke«, wehrte McCauley ab. »Ich will nur, was mir unserem Abkommen gemäß zusteht. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Und das werden Sie bekommen«, versicherte Chamberlain, während er sich selbst einschenkte. Die erste Überraschung hatte er überwunden und war nun wieder ganz der souveräne Verhändler, als der er am Temple Bar bekannt war. »Nicht von ungefähr habe ich in Edinburgh eine Niederlassung eröffnet. Ich pflege mich an Abmachungen zu halten, Mr. McCauley. Ebenso wie meine Auftraggeber.«
Die glatten Züge des anderen zeigten keine Regung. Wenn er misstrauisch war, so ließ er es nicht erkennen. »Dann ist es ja gut«, meinte er nur.
»Allerdings«, fuhr Chamberlain fort, nachdem er einen Schluck Scotch genommen hatte, »hat sich herausgestellt, dass wir wohl mit mehr Widerständen zu kämpfen haben, als wir zunächst vermuteten. Scott wurde zwar inzwischen für tot erklärt, doch ehe das Testament vollstreckt ist, dürfen keinerlei Verfügungen sein Vermögen betreffend gemacht werden.«
»Und daran haben Sie sich gehalten? Haben Sie keinen Druck ausgeübt?«
»O doch«, versicherte Chamberlain, »und Sie dürfen mir glauben, dass ich darin sehr gut bin. Wäre da nur dieser Weichling Ballantyne, so hätte ich bereits bekommen, was ich will. Aber Lady Scott und ihr ältester Sohn …«
»Walter«, ergänzte McCauley.
»… sind unbeirrt bei ihrem Standpunkt geblieben, der Notwendigkeit zum Trotz. Sie sagten, dass man auf das Eintreffen Quentin Hays warten müsse, der von Scott zum Nachlassverwalter bestimmt wurde.«
»Nun, Hay ist jetzt hier – und mit ihm alles, was Sie brauchen, um die Scotts zu vernichten«, entgegnete McCauley gelassen.
»Ich?« Chamberlain lachte gedehnt und nahm einen weiteren Schluck Scotch. »Sie überschätzen meine Ambitionen, Mr. McCauley, wenn Sie denken, dass ich persönliche Motive hätte. Mir geht es lediglich darum, den Willen meiner Mandanten durchzusetzen. Mein Vater war ebenfalls Anwalt des Inner Temple, und er hat mich eines gelehrt: Die Kunst, ein guter Anwalt zu sein, besteht nicht darin, Fragen zu stellen, sondern zur richtigen Zeit keine zu stellen.«
»Ich verstehe.« McCauley nickte.
»Ich weiß auch nicht, warum Sie Scotts Landsitz Abbotsford unbedingt in Ihren Besitz bringen wollen, und es interessiert mich auch nicht. Aber Sie haben Ihren Teil der Abmachung erfüllt und diese Frau nach Schottland gebracht. Also werde ich nun meinerseits alles daransetzen, dass Sie Ihren Willen bekommen.«
»Tun Sie das, Mr. Chamberlain«, erwiderte McCauley, und für einen Augenblick huschte ein Schatten über seine sonst so makellosen Züge, »und tun Sie es rasch. Ich warte schon sehr lange auf diese Gelegenheit, und ich verliere allmählich die Geduld.«
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6
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Florenz
Dezember 1784
»Ihr habt mich rufen lassen, Herr?«
Der Herzog lachte auf. Verhalten. Traurig. »Du wirst dir niemals angewöhnen können, mich bei meinem Namen zu nennen, oder?«, fragte er von seinem Sessel aus, in dem er saß wie an all den anderen Tagen, an denen sie ihn besucht hatte. Und doch war an diesem Dienstagmorgen etwas anders.
Der Herzog sah müde aus, beinahe gebrechlich. Die Jugendlichkeit war aus seinen Zügen gewichen, eine Decke lag über seiner hageren Gestalt, trotz des Feuers, das im Kamin brannte.
»Ist schon gut«, beschwichtigte er, als sie nicht wusste, was sie erwidern sollte. »Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen. Du bist, was du bist, so wie ich bin, was ich nun einmal bin. Wir müssen mit dem vorliebnehmen, was das Schicksal uns gegeben hat, nicht wahr?«
Serena spürte jähe Unruhe. Die Art und Weise, wie er heute zu ihr sprach,
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