Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Quentin hüllt sich diesbezüglich in Schweigen, wohl weil er mich nicht beunruhigen will. Dabei finde ich sein Schweigen beunruhigender als alles andere.«
»Das kann ich gut verstehen«, versicherte der Arzt. »Dennoch glaube ich, dass Sie sich nicht zu sorgen brauchen. Der Sir Walter Scott, den man mir beschrieb, war in jeder Hinsicht ein Gentleman und Mann von Welt. Er hätte niemals zugelassen, dass seine Familie in finanzielle Not gerät, weder zu seinen Lebzeiten noch darüber hinaus.«
»Damit haben Sie sicher recht«, gestand Mary zu. »Allerdings ist es in diesen unsicheren Zeiten alles andere als einfach, für die Seinen zu sorgen, und diese Krise hat selbst Sir Walter nicht kommen sehen.«
»Dennoch«, beharrte McCauley, »Stein überdauert nicht nur die Zeit, sondern auch alle Krisen. Sagten Sie nicht, dass sich Abbotsford im Familienbesitz befindet? Was hindert Sie daran, das Anwesen zu verkaufen? Dann könnten alle Schulden bequem beglichen werden und Sie alle wieder ein freies Leben führen, ohne jede Verpflichtung.«
»Auch das ist wahr, einerseits«, gab Mary zu. »Andererseits, wenn Sie wüssten, wie sehr Onkel Walter an diesem Haus und diesem Grund und Boden gehangen hat, dann …«
»Er ist aber nicht mehr am Leben«, fuhr McCauley ihr barsch und wenig taktvoll ins Wort, »und wenn er es zu seinen Lebzeiten nicht geschafft hat, für die Seinen zu sorgen, so …«
»Wie können Sie so etwas sagen?«, fiel Mary ihm fassungslos ins Wort. »Sie kannten Sir Walter nicht, folglich steht es Ihnen auch nicht zu, ein Urteil über ihn zu fällen!«
»Das … ist wahr«, gab McCauley zu und senkte schuldbewusst das Haupt. »Bitte verzeihen Sie mir, ich bin zu weit gegangen. Es ist nur … ich will einfach nicht hilflos zusehen müssen, wie meine Freunde unverschuldet in Not geraten.«
»Ihr Mitgefühl ehrt Sie, Winston«, versicherte Mary und brachte ein dünnes Lächeln zustande. »Aber sorgen Sie sich nicht. Quentin wird sicher eine Lösung finden, damit Lady Scott und die Kinder auch weiterhin ein Leben frei von finanziellen Sorgen führen können.«
»Dann bin ich ja beruhigt.« McCauley lächelte ebenfalls. »Wo ist Quentin übrigens?«
»Er ist noch unterwegs«, entgegnete Mary ausweichend, »und wird erst in einigen Tagen in Abbotsford eintreffen.«
»Weilt er noch in Edinburgh?«
»Nein.«
»Dann ist es gut«, meinte McCauley erleichtert, »denn dort drohen Unruhen. Überall versammeln sich die Menschen, in den Straßen finden Kundgebungen statt, auf denen gegen die Regierung in London gewettert wird.«
»Ich habe davon gehört«, versicherte Mary.
»Wenn Menschen auf der Straße stehen und frieren und Hunger leiden, weil sie keine Arbeit haben, dann ist dies ein guter Nährboden für eine Revolte. Und wenn sich dann noch Männer wie dieser Malachi Malagrowther zu Sprechern des Volkes machen …«
»Wie bitte?«, fiel Mary ihm ins Wort. Sie war sicher, sich nur verhört zu haben, aber … »Dieser Name, den sie gerade erwähnten …«
»Malachi Malagrowther«, wiederholte McCauley. »Er ist der Urheber eines offenen Briefes an den Herausgeber des Edinburgh Weekly Journal , der als Flugblatt vervielfältigt und in den Straßen verteilt wurde.«
»Sind Sie sicher?«, hakte Mary nach. Sie erinnerte sich, dass Walter von dem Flugblatt berichtet hatte, allerdings hatte er den Namen des Verfassers nicht erwähnt.
»Allerdings«, bekräftigte McCauley, offenkundig erstaunt über ihre Reaktion. »Wieso fragen Sie?«
Mary dachte einen Augenblick lang nach.
Dann erhob sie sich, worauf auch McCauley wie von einer giftigen Schlange gebissen in die Höhe schoss.
»Bitte entschuldigen Sie mich, lieber Freund«, murmelte Mary, während sie bereits zur Tür huschte, »ich muss dringend mit Lady Scott sprechen.«
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16
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Südlich von Airdrie
Nachmittag des 2. März 1826
Es war ein böses Erwachen.
Als sich die Lebensgeister in ihm wieder regten, fühlte Quentin zunächst nur Schmerz. Sein ganzer Körper schien daraus zu bestehen, jede einzelne Faser. Erst ganz allmählich wurde ihm klar, dass es nur sein Kopf war, der ihm wehtat – aber das war schlimm genug.
Stöhnend wälzte er sich herum, stellte fest, dass er auf hartem Boden lag. Stroh knisterte unter seinem Körper, und der Geruch von altem Holz stieg ihm in die Nase und erinnerte ihn daran, dass er sich in einer Scheune befand. Und im nächsten Moment kehrte die Erinnerung schlagartig zurück.
»Brighid!«
Er riss
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