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Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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hart. Einerseits kam er sich ertappt und durchschaut vor, andererseits wie ein Verdürstender in der Wüste, dem eine barmherzige Hand Wasser reichte. Hatte er überhaupt noch eine Wahl? Wie in Trance ging er zu ihr zurück, alle Bedenken über Bord werfend und bereit, sich die verbotenen Früchte zu nehmen, die sie ihm so bereitwillig darbot – als hinter ihm plötzlich die Tür der Scheune aufflog.
    »Was …?«
    Quentin fuhr herum, sah jedoch nichts außer einer Meute dunkler Schatten, die auf ihn zu hetzte. Abwehrend riss er die Arme hoch, aber es war zu spät. Ein Knüppel ging nieder und traf ihn mit Wucht am Kopf.
    Quentin hatte das Gefühl, sein Schädel würde platzen. Grell wie ein Lichtblitz flackerte der Schmerz in der Dunkelheit auf – dann brach er zusammen.
    Das Letzte, was er hörte, war Brighids heiserer Schrei.
    Dann wurde es schwarz um ihn herum.

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    15
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    Abbotsford
Tags darauf
    Erst am frühen Vormittag war die Familie Scott auf dem Landsitz eingetroffen, den Sir Walter zu seinen Lebzeiten hatte errichten lassen und der sein ganzer Stolz gewesen war. Eine »Romanze in Stein und Mörtel« hatte er Abbotsford einst genannt – und genau das war der aus einem Herrenhaus und mehreren Nebengebäuden bestehende Landsitz auch, der rund dreißig Meilen von Edinburgh entfernt lag, am Ufer des Flusses Tweed und eingebettet in die lieblichen Hügel, die sich zwischen Galashiels und Selkirk erstreckten.
    Unzählige Türme und Zinnen säumten die Fassade und die umgebenden Mauern, und so wie die Romane, die Walter Scott geschrieben hatte, stets auf reale historische Ereignisse verwiesen hatten, war auch sein Landsitz von den architektonischen Hinterlassenschaften der schottischen Geschichte inspiriert: Der Eingang war dem des Palastes von Linlithgow nachempfunden, die Ummauerung des Innenhofs erinnerte an den Kreuzgang der nahen Abtei von Melrose; die Torflügel gar waren Originale, die aus dem alten Tolbooth von Edinburgh stammten. Scott hatte sie gekauft und hierherbringen lassen, vermutlich, um ein wenig von dem Geist einzufangen, der das alte Eichenholz umfing, vom Odem der Vergangenheit.
    Nicht nur die Fassaden, auch das Innere von Abbotsford war derart geprägt, von der holzgetäfelten Decke der Bibliothek, die ein Abbild derer der Kapelle von Roslin war, über unzählige Gemälde bis hin zu altertümlichen Waffen und Rüstungen.
    Mehr noch als all diese historischen Reminiszenzen schätzte Mary jedoch die persönlichen Erinnerungen, die sie mit dem Landsitz verband. Hier war sie Walter Scott, dem Urheber ihrer Lieblingsromane, einst begegnet; hier hatte sie Quentin kennengelernt, und das Abenteuer ihres Lebens hatte hier seinen Lauf genommen. Wie einfach damals alles gewesen war, wie unbeschwert und leicht … und wie sehr wünschte sie sich, dass Sir Walter sie am Eingang empfangen und willkommen geheißen hätte.
    Ohne ihn war Abbotsford noch immer ein eindrucksvolles Bauwerk, das aus jeder steinernen Pore den kreativen Schöpfergeist seines Erbauers atmete; das Herz von Abbotsford jedoch hatte in dem Augenblick zu schlagen aufgehört, als Walter Scott verschieden war. Nirgendwo wurde Mary der schreckliche Verlust, den sie alle erlitten hatten, so deutlich wie hier, an der Stätte seines Wirkens. Sie merkte, wie ein Teil von ihr dabei war, in die alte Trauer zurückzufallen, wohl auch des Aufruhrs an Gefühlen wegen, der noch immer in ihrem Inneren herrschte. Was hatte sich Brighid nur dabei gedacht, sich ihr auf diese Weise zu nähern? Hatte sie nicht damit rechnen müssen, zurückgewiesen und verstoßen zu werden?
    Mary fühlte sich unwohl, auch der Fragen wegen, die Quentin gestellt hatte. Hatte er womöglich etwas geahnt? Hätte sie ihm den wahren Grund dafür nennen sollen, dass sie Brighids Abreise wünschte? Aber wie hätte er wohl darauf reagiert? Hätte er ihr geglaubt, dass sie nur ein Opfer gewesen war? Und war sie tatsächlich nur ein Opfer gewesen?
    Um ihren Kopf von diesen nagenden Fragen zu befreien, war sie in die Bibliothek gegangen, hatte sich ein Buch geholt und sich anschließend in den Salon zurückgezogen. Doch noch nicht einmal die Lektüre von »Quentin Durward«, einem ihrer liebsten Bücher aus der Feder des Meisters, dessen Held nach ihrem Ehemann benannt worden war, ließ sie zur inneren Ruhe kommen. Wieder und wieder musste Mary die Abschnitte lesen, um sie zu verstehen. Als deshalb kurz nach Mittag ein Diener meldete, dass Besuch für sie eingetroffen sei,

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