Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
den Stand der Vorräte zu überprüfen. »Allerdings weiß ich nicht, was sich dahinter verbirgt.«
Lady Charlotte wog nachdenklich das Haupt. Wie immer trug sie ein schwarzes Kleid im Gedenken an ihren verschiedenen Gatten.
»Was gibt es?«, fragte Walter, der ebenfalls in die Küche kam und die beiden Frauen fragend ansah.
»Erinnerst du dich an das Flugblatt, das in Edinburgh verteilt wurde?«, fragte ihn seine Mutter.
»Natürlich.«
»Der Verfasser ist ein gewisser Malachi Malagrowther«, eröffnete Mary.
»Und?«, hakte Walter nach. »Sollte ich den Gentleman kennen?«
»Eigentlich ja«, erwiderte Mary mit nachsichtigem Lächeln. »Er ist eine Erfindung deines Vaters.«
»Eine seiner Figuren?«, fragte Walter verblüfft und errötete ein wenig.
»Tröste dich, Junge, ich wusste es ebenfalls nicht«, suchte Lady Charlotte ihn zu beschwichtigen. »Dein Vater war mit einer so reichen Fantasie gesegnet, dass ich bisweilen Schwierigkeiten hatte, ihm zu folgen, geschweige denn alle seine Schöpfungen im Kopf zu behalten. Anders als unsere gute Mary, die eine profunde Kennerin seines Werkes ist.«
»Aus reiner Bewunderung«, versicherte Mary. »In einer Zeit, in der ich glaubte, an der Enge meines eigenen Lebens zu ersticken, gaben Sir Walters Bücher mir etwas, woran ich mich festhalten konnte, eine Hoffnung.«
»Und dieser Malachi Malagrowther ist eine Romanfigur?«, wollte Walter wissen.
»Fast«, schränkte Mary ein. »Im Roman Fortunes of Nigel ‹ gibt es einen gewissen Mungo Malagrowther. Unser Malachi ist wohl ein enger Verwandter von ihm.«
Walter runzelte die Stirn. »Könnte das nicht auch purer Zufall sein? Vielleicht gibt es ja tatsächlich jemanden, der so heißt?«
»Und der sich öffentlich für die Belange Schottlands einsetzt, wie dein Vater es getan hat?«, fragte Lady Charlotte nach. »Wohl eher nicht.«
»Zudem erinnere ich mich, dass Sir Walter mir einmal sagte, der Name sei eine reine Erfindung von ihm. Er hat ihn sich ausgedacht, weil er ihm als der unwahrscheinlichste aller möglichen Namen erschien.«
»Und damit hat er vermutlich recht«, pflichtete Walter bei.
»Die Frage, die sich uns stellt, ist also, wer der Verfasser dieses Flugblatts tatsächlich ist«, fasste Mary zusammen. »Und warum wählt er ausgerechnet einen Namen aus einem Roman Sir Walter Scotts, um sich zu tarnen?«
»Vielleicht, weil er zeigen will, dass er belesen ist«, überlegte Walter laut. »Oder weil er will, dass etwas von Vaters Ruhm auf ihn fällt. Aufmerksamkeit genug hat er für sein Flugblatt ja bekommen.«
»Oder«, führte Lady Charlotte noch eine weitere Möglichkeit an, »weil er eine falsche Fährte legen möchte. Dein armer Vater ist sein Leben lang von Eiferern belagert worden, die für ein unabhängiges Schottland waren und seine Popularität für ihre Zwecke ausnutzen wollten. Dabei ist er zwar stets ein Patriot gewesen, hat jedoch nie an der Union mit England gezweifelt. Zu seinen Lebzeiten hat er es immer verstanden, sich ihrem Einfluss zu entziehen, aber nun kann er sich nicht mehr dagegen wehren.«
»Dann werden wir das für ihn tun«, verkündete Mary überzeugt.
»Richtig«, stimmte Walter entschlossen zu.
»An wen war dieses Flugblatt doch gleich gerichtet?«
»An den Herausgeber des Edinburgh Weekly Journal , wenn ich mich recht entsinne«, sagte jemand aus Richtung der Tür.
Mary und die anderen fuhren herum. Winston McCauley war unerwartet hinzugetreten und stand auf der Schwelle.
»Hier also finde ich Sie, Gnädigste«, meinte er mit charmantem Lächeln. »Beim Plausch in der Küche.«
»Winston«, rief Mary erschrocken aus. Den Besuch hatte sie in der Aufregung völlig vergessen. »Bitte verzeihen Sie mir.«
»Nur zu gerne.« Das Lächeln des ehemaligen Militärarztes wurde noch ein wenig breiter, dann machte er der Dame des Hauses seine Aufwartung und stellte sich namentlich vor.
»Es freut mich, dass sie uns in Abbotsford besuchen kommen, Mr. McCauley«, begrüßte Lady Charlotte ihn freundlich. »Freunde der Familie sind stets willkommen.«
»Ich danke Ihnen«, erwiderte er und verbeugte sich so überschwänglich, dass Walter darob die Augen verdrehte. Offenbar, dachte Mary, wusste er McCauleys Galanterie ebenso wenig zu schätzen wie Quentin.
»Also«, kehrte Sir Walters ältester Sohn ungeduldig zum Thema zurück, »wenn dieser Brief an den Herausgeber des Edinburgh Weekly Journal gerichtet war, dann sollten wir dorthin gehen und ein paar Nachforschungen
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