Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Menschen aufzublicken. Ein Teil von ihm wollte fast reflexhaft wieder in das alte Muster verfallen und die Rolle des Gefolgsmanns annehmen, die er auch bei Malcolm of Ruthven gespielt hatte; ein anderer Teil jedoch bestand darauf, die eben erst gewonnene Machtposition nicht wieder aufzugeben.
Die Gefangene mochte nicht sein, was er angenommen hatte, und ganz offenbar war sie um vieles besser informiert als er selbst. Dennoch hatte er nicht vor, sich kampflos zu ergeben.
»Meine Maske«, erklärte er deshalb, »werde ich dann abnehmen, wenn ich es für richtig halte.«
»Sie bestehen also weiterhin auf diesem lächerlichen Mummenschanz?«
»In der Tat«, bestätigte er zähneknirschend. »Jedenfalls bis ich weiß, wer Sie sind und was Sie von mir wollen.«
»Ich? Von Ihnen?« Ihr Lachen war voller Geringschätzung. »Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Scrymgour – es gibt nichts, was Sie mir geben könnten. Ich hingegen bin alles, was Sie und Ihre Bruderschaft jemals wollten.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Ich kenne Sie, Scrymgour, Sie und Ihre geheime Bruderschaft. Und ich weiß auch, wofür Sie stehen und was Sie erreichen wollen: ein freies Schottland unter schottischer Krone, frei von den englischen Usurpatoren.«
»Gefährliche Worte«, sagte Scrymgour.
»In der Tat«, stimmte sie zu, wobei ihre blauen Augen ihn verächtlich taxierten, »dennoch spreche ich sie offen aus – Ihnen fehlt offenkundig der Mut dazu. Oder warum sollten Sie sonst diese Masken tragen und sich an einem Ort wie diesem verkriechen?«
»Wir müssen vorsichtig sein.«
»Natürlich«, gestand sie zu. »Deshalb haben Sie mich auch bei Nacht und Nebel entführen lassen, nicht wahr? Und dabei glauben Sie wahrscheinlich noch, dass es Ihr Plan und Ihre Absicht gewesen sei.«
»Was soll das nun wieder heißen?«, fragte Scrymgour, ebenso verblüfft wie verärgert.
»Dass Sie in Wirklichkeit nur das getan haben, was von Ihnen erwartet wurde«, erklärte die Gefangene schlicht. »Auch wenn Sie sich dafür erstaunlich viel Zeit gelassen haben.«
»Unfug!«, blaffte er.
»Glauben Sie?« Sie machte einen Schritt auf ihn zu, scheinbar ohne jede Furcht. »Und was ist mit dem Brief, den Sie vor geraumer Zeit erhalten haben und in dem Ihnen die Ankunft einer wichtigen Persönlichkeit angekündigt wurde?«
Scrymgour war froh, sich ihrem Ansinnen widersetzt und die Maske nicht abgenommen zu haben, sonst hätte sie jetzt sehen können, wie er errötete. Sie wusste von dem Brief!
»Außerdem«, fuhr sie ohne Zögern fort, »enthielt das Schreiben ein in Leder punziertes Wappen, das einen aufrecht stehenden Löwen zeigt: das Symbol des Hauses Stewart. War es nicht so?«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Sehr einfach – weil ich es gewesen bin, die Ihnen diesen Brief geschickt hat, Scrymgour. Es war die einzige Möglichkeit, mit Ihnen und Ihren Leuten in Kontakt zu treten, ohne mich dabei selbst verdächtig zu machen.«
»Das ist lächerlich«, behauptete er.
»Wirklich? Sie unterschätzen offenbar die Intelligenz der königlichen Ermittler. Sie sind noch immer auf der Suche nach Ihresgleichen, Scrymgour, deshalb tun Sie vermutlich gut daran, sich auf entlegenen Inseln zu verstecken. Hätte ich versucht, Ihnen auf offiziellem Wege zu begegnen, hätte ich riskiert, dabei entdeckt zu werden. Und an einer Begegnung mit den englischen Behörden ist mir ebenso wenig gelegen wie Ihnen. Also habe ich darauf gewartet, dass Sie meine Nähe suchen.«
»Sie … Sie behaupten also wirklich, damit gerechnet zu haben, entführt zu werden?«
»Ich habe nicht damit gerechnet, ein ganze Nacht mit einem schmutzigen Fetzen Stoff über dem Kopf zu verbringen«, schränkte sie ein. »Und was die Natur Ihres Verstecks angeht, hätte ich Ihnen ein wenig mehr Geschmack zugetraut. Aber die Antwort auf Ihre Frage lautet: Ja.«
»Sie bluffen.«
»Keineswegs.«
»Und wenn ich Ihnen sagte, dass ich Sie die ganze Zeit über habe beobachten lassen?«, fragte Scrymgour, sich jetzt endlich wieder überlegen fühlend. »Dass ich jeden einzelnen Ihrer Schritte überwachen ließ, seit sie Ihren Fuß an Land gesetzt haben? Was dann?«
»Dann würde ich Ihnen entgegnen, dass Sie bei der Auswahl Ihrer Spione größere Sorgfalt walten lassen sollten«, erwiderte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. »Die Spione, die Sie uns auf den Hals gehetzt haben, waren Stümper ihres Fachs. Ich hätte sie jederzeit enttarnen können, wenn ich es gewollt hätte. Selbst Quentin
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