Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Hay war bereits mehrfach aufmerksam geworden, und er verfügt bei Weitem nicht über den Scharfsinn, der seinen Onkel auszeichnete. Sie sehen also, dass Sie mir bereits Einiges zu verdanken haben. Und vorausgesetzt, dass Sie es ernst meinen mit Ihren Plänen, die schottische Unabhängigkeit betreffend, wird dies wohl auch so bleiben.«
Scrymgour schwieg. Was hätte er erwidern sollen? Es sprach so viel Selbstsicherheit aus ihren Worten, dass kaum daran zu zweifeln war. Was auch immer er gedacht, wie auch immer er geplant haben mochte – diese Frau schien ihm einen Schritt voraus gewesen zu sein. Zahllose Fragen gingen ihm im Kopf herum, auf die er gerne eine Antwort gehabt hätte. Im Grunde jedoch lief alles auf eine einzige Frage hinaus.
»Wer sind Sie?«, wollte er wissen.
»Das wissen Sie doch längst«, erwiderte sie. Dem Blick, mit dem er sie durch die Sehschlitze seiner Maske taxierte, hielt sie stand. »Mein Kommen wurde Ihnen angekündigt, indem ich Ihnen das Wappen meiner Familie schickte.«
Scrymgour sog scharf die Luft ein.
»Sie sind …«
»Mein Name ist Brighid Stewart«, erwiderte sie. »Ich bin der letzte Spross des Hauses Stewart.«
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18
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Redaktion des Edinburgh Weekly Journal, Edinburgh
3. März 1826
»Das ist nicht akzeptabel!«
Walters Stimme überschlug sich, die Frustration war ihm deutlich anzumerken. Doch der Mann, der Mary und ihm gegenüberstand und damit beschäftigt war, an einem hohen Tisch Berichte zu sortieren, blieb äußerlich völlig ungerührt.
»Ich kann verstehen, dass Sie meine Antwort nicht zufriedenstellt, junger Mann«, versicherte er, wobei er den Blick von den Stapeln hob und durch das wahre Ungetüm von Brille, das auf seiner spitzen Nase saß, auf seine beiden Besucher starrte. »Aber auch wenn Sie Ihre Stimme gegen mich erheben, sehe ich mich dennoch nicht in der Lage, Ihrem Wunsch zu entsprechen.«
»Verzeihen Sie, Mr. Bloomfield, mein Cousin wollte Sie keinesfalls kränken«, versicherte Mary rasch. »Aber Sie müssen doch in der Lage sein, uns irgendeine Auskunft über den Verfasser des Flugblatts zu geben, das derzeit in Edinburgh für solches Aufsehen sorgt. Immerhin ist es an den Herausgeber Ihres Blattes gerichtet.«
»Aye, genau wie Hunderte von Dankesschreiben, Drohbriefen und Bittschriften, die jede Woche eingehen«, knurrte Bloomfield misslaunig, während er weitere Blätter beschriebenen Papiers von der hohen Tischplatte des Sekretärs auflas und zu verschiedenen Stapeln sortierte. »Und auch hier sind wir nicht in der Lage, die Verfasser namentlich zu benennen.«
»Das ist doch etwas anderes«, wandte Mary ein. »Diese Streitschrift wurde ganz offenbar von jemandem verfasst, der sich sehr gut in Staatsdingen sowie in kaufmännischen Belangen auskennt.«
»In der Tat«, räumte Bloomfield ein. »Deshalb hat das Flugblatt auch eine solch außerordentliche Wirkung. Es trifft den Kern der Sache und spricht vielen braven schottischen Bürgern aus der Seele.«
»Und da interessiert es Sie nicht, wer es verfasst hat?«
Bloomfield sandte sowohl Mary als auch Walter einen langen Blick zu. Dann ließ er seufzend die Blätter sinken. »Hören Sie«, sagte er, mit einer resignierenden Geste den Saal hinab deutend, wo Dutzende von Korrespondenten dabei waren, Berichte zu verfassen, die an die Setzerei geschickt werden mussten. »Es wird Sie vielleicht wundern, Miss …«
»Mrs. Hay«, verbesserte Mary.
»… aber ich habe noch andere Dinge zu tun, als wissbegierigen Mitmenschen ihre Fragen zu beantworten. Ich bin der leitende Redakteur dieses Journals und dafür verantwortlich, dass es pünktlich und zuverlässig erscheint.«
»Dann stehen Sie uns Rede und Antwort«, konterte Mary gewandt, »und ich verspreche Ihnen, dass wir Ihre ehrwürdigen Hallen schon in wenigen Minuten wieder verlassen werden.«
Bloomfield seufzte abermals.
»Ich habe es Ihnen doch schon gesagt«, meinte er dann, sich hörbar zur Ruhe zwingend. Seine sich zunehmend rötende Gesichtsfarbe legte nahe, dass der kleinwüchsige, spitznasige Mann zu außerordentlichen Wutausbrüchen fähig war. »Der Herausgeber dieses Journals erhielt jenen Brief, und da er offen formuliert und sein Inhalt von großem öffentlichem Interesse war, ging er davon aus, dass er das Recht hätte, ihn einem breiten Publikum zugänglich zu machen.«
»Und weiter?«, fragte Mary, die Ironie seiner Worte einfach überhörend.
»Der Verlag Blackwood hat den Brief vervielfältigt und ihn
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