Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
Boten an die Academy schicken und die Situation erklären. Ich bin sicher, dass man Verständnis zeigen wird, wenn ich einem Freund in einer Notlage beistehe.«
»Aber ich …«
»Bitte, Quentin«, sagte Mary. »Es wäre mir bedeutend wohler, wenn ich wüsste, dass du dem Phantom – wenn es denn existiert – nicht allein gegenübertreten musst.«
»Also schön«, erklärte sich Quentin seufzend bereit und hob resignierend die Hände. »Ich gebe mich geschlagen.«
»Eine gute Entscheidung.« McCauley nickte ihm lächelnd zu. »Sie werden es nicht bereuen, mein Freund.«
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21
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Abbotsford
Abend des 5. März 1826
Als die Dämmerung hereinbrach, postierten sie sich im Empfangszimmer, hinter der Tür, die sie einen Spalt offen ließen. Auf diese Weise konnten Quentin und McCauley nicht nur die Eingangshalle, sondern auch den Durchgang zur Bibliothek im Auge behalten.
Um Lady Charlotte nicht zu beunruhigen, hatte Quentin ihr gegenüber nichts von dem nächtlichen Besucher erwähnt. Mit der Begründung, dass die Gasleitungen im Haus dringend überholt werden müssten, hatte er sie und ihren Sohn Charles in Begleitung von Mortimer Kerr und den anderen Dienern nach Galashiels geschickt, wo sie für zwei Nächte bei Sophia bleiben würden. Mary allerdings wollte Abbotsford nicht verlassen, und nach allem, was geschehen war, hatte sich Quentin außerstande gesehen, ihr diese Bitte abzuschlagen.
Die ganze Zeit über, während McCauley und er dort warteten, im Dunkeln kauernd wie zwei halbwüchsige Jungen, die einen Streich ausgeheckt hatten, konnte er nicht anders, als sich zu fragen, was er hier eigentlich tat.
Glaubte er wirklich daran, dass jener dunkle Schemen, den er vergangene Nacht für einen kurzen Moment gesehen zu haben glaubte, ein Einbrecher gewesen war? Hatte er ernsthaft vor, diesen zu fassen? Oder hatte er in Wahrheit nur nach einem Vorwand gesucht, um nicht nach Airdrie fahren zu müssen?
Die Beine angewinkelt und erbärmlich frierend, weil die Kamine sowohl im Empfangsraum als auch in der Eingangshalle nicht angeschürt worden waren, hatte er mehr als genug Zeit, über diese Dinge nachzudenken – zu einem Ergebnis kam er dennoch nicht. Sein Onkel, so sagte er sich, hätte fraglos gewusst, was zu tun war; eine Situation genau zu analysieren und dann die richtige Entscheidung zu treffen, war eine von Sir Walters Stärken gewesen und vielleicht sogar die Eigenschaft, die Quentin am meisten an ihm bewundert hatte. Oder war auch das nur eine Täuschung gewesen, ein persönlicher Eindruck, den Quentin von seinem Onkel gehabt und der ihn getrogen hatte, wie so vieles andere.
Seit sein Onkel tot war, schien alles in Auflösung begriffen. Nicht nur, dass der Verlag Verluste machte, dass die Bücher jeden Tag neue Schuldenberge offenbarten und der Verkauf von Abbotsford eine Möglichkeit war, mit der Quentin ernstlich kalkulieren musste; die wirtschaftliche Krise, die das Land niederdrückte, hatte sich in den letzten Wochen noch verschärft, und infolge der Unruhe, die auf den Straßen herrschte, sprachen einige gar schon davon, Schottland müsse die Union verlassen. Dass die Regierung in London dies nicht tolerieren und jeden Versuch einer Loslösung blutig niederschlagen würde, schien in diesen Tagen niemanden zu kümmern. Chaos griff um sich, im Großen wie im Kleinen. Selbst Quentins Liebe zu Mary, die er stets als über allem anderen stehend betrachtet hatte, schien plötzlich gefährdet. Wirrnis herrschte in seinem Inneren, er wusste nicht mehr, was er fühlen und denken sollte.
Wiederholt hatte er in den letzten Tagen das Gefühl gehabt, verfolgt und beobachtet zu werden, aber er erinnerte sich auch, dass Lady Charlotte ihm gesagt hatte, dass er es gut sein lassen solle, dass die Zeiten, in denen Sir Walter und er alten Geheimnissen nachspürten, unwiderruflich vorbei seien. Womit sie fraglos recht hatte. Er aber saß zu nachtschlafender Zeit in einer dunklen Kammer und spürte einem Phantom nach, das es vermutlich gar nicht gab.
McCauley hatte ihm sicher nur deshalb seine Hilfe zugesagt, um dabei zu sein, wenn Quentin seinen Irrtum eingestehen musste. Zwar rechnete er es dem Chirurgen hoch an, dass er seine wertvolle Zeit opferte und sich zusammen mit ihm die Nacht um die Ohren schlug. Viel lieber wäre er jedoch allein gewesen. Alleine mit den Gedanken, die ihm im Kopf herumschwirrten und dafür sorgten, dass ihm der Schädel brummte wie nach zu viel Scotch.
Immerhin schien
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